Voll wärmegedämmt in den Sarg

■ Bundesbehörden klassifizieren bestimmte Wärmedämmstoffe jetzt als krebserregend

Berlin (taz) – Schon 1980 hatte das Umweltbundesamt das erste Mal gewarnt, bestimmte Wärmedämmstoffe könnten für diejenigen, die täglich mit ihnen umgehen, gefährlich sein. Über zehn Jahre köchelte die Debatte unter Arbeitsmedizinern und Baubiologen. Seit dem Wochenende ist die Katze jetzt aus dem Sack. Glas-, Stein- und vor allem Keramikwolle können Krebs erzeugen – und die Gefahr für die in der Industrie Beschäftigten ist beträchtlich.

In einer raren gemeinsamen Stellungnahme von Bundesgesundheitsamt, Umweltbundesamt (UBA) und Bundesamt für Arbeitsschutz (BAU) heißt es unmißverständlich, Keramikfasern, wie sie auf dem Bau vorkommen, hätten eine größere krebserregende Potenz als die in der Regel kürzeren Asbestfasern. Glaswollfasern und Steinwollfasern seien zwar wahrscheinlich weniger krebserregend, aber „eine krebserzeugende Wirkung muß man bei allen annehmen“, so UBA-Experte Wolfgang Lohrer.

Die Nachricht der drei Bundesbehörden schlug ein. Doch die Wissenschaftler der Behörden hatten sich gut abgesichert. Bei Experimenten, die schon zur Überprüfung der Gefährlichkeit von Asbest an Ratten durchgeführt wurden, hätten Keramikfasern, Glaswollfasern und Steinwollfasern kanzerogene Wirkungen gezeigt. Für Asbest gibt es vergleichende epidemiologische Untersuchungen beim Menschen. Das heißt, man kann die experimentellen Ergebnisse bei Ratten mit realen Erkrankungshäufigkeiten beim Menschen in Verbindung setzen. Ausgerüstet mit dieser Meßlatte, übertrugen die Experten die neuen experimentellen Ergebnisse bei Ratten auf die entsprechenden Erkrankungshäufigkeiten – und kamen zu erschreckenden Ergebnissen.

Trotzdem warnen die Bundesbehörden vor Panik. Keineswegs sollte nun jeder Heimwerker seine frisch installierte Wärmedämmung wiederherausreißen. Gerade dabei würde viel von dem gefährlichen Faserstaub frei. Am gefährlichsten seien unverkleidet eingebaute Mineralwollerzeugnisse wie unverkleidete Schallschutzdecken. Dort könne der Staub auch ohne Herausriß ungehindert die Raumluft vergiften. Auch schlecht ausgeführte Isoliermaßnahmen stellten eine erhebliche Gefährdung dar. Dagegen seien Außenisolierungen und gut verkleidete Innenraumisolierungen mit diesen Stoffen weniger bedenklich. Sie führten in der Regel nicht zu einer erhöhten Belastung der Innenräume. Trotzdem empfiehlt das Expertengremium, „Substitutionspotentiale auszuschöpfen, soweit toxikologisch geprüfte Ersatzstoffe vorhanden sind“.

Auf einem ganz anderen Blatt steht die Gefährdung der Arbeitnehmer in der Faserindustrie und im Baugewerbe. Vor allem bei den „ausgeprägt kanzerogenen“ Keramikfasern müsse dringend über strengere Grenzwerte am Arbeitsplatz nachgedacht werden. „Es gibt zwar noch keinen nachgewiesenen Todesfall“, betonte Lohrer. Die Verarbeitung birgt aber das größte Gesundheitsrisiko. „Sägen und auf dem Material herumtreten ist ganz schlecht“, so BAU-Experte Peter Wardenbach.

Am weitesten verbreitet unter den Mineralfasern sind die Glas- und Steinwollprodukte, die in jedem Baumarkt zu kaufen und in fast jedem Haus zu finden sind. Sie werden seit den 40er und 50er Jahren verwendet. 14 Millionen Tonnen wurden 1992 verkauft. Die gefährlicheren Keramikfasern, deren Einsatz erst etwa 1970 begann, dienen demgegenüber nur speziellen Zwecken, insbesondere der Hochtemperaturisolierung von Brennöfen.

Und was sagt die Mineralwollindustrie? Der größte deutsche Hersteller von Dämmstoffen, die Grünzweig und Hartmann AG in Ludwigshafen, sah gestern noch keinen Grund, besondere Sicherheitshinweise herauszugeben. Der Krebsverdacht beruhe auf Tierversuchen, deren Ergebnisse nicht unbedingt auf den Menschen übertragen werden könnten, so die Unternehmenssprecherin. Die Tiere hatten die Fasern nicht inhaliert, sondern über eine Spritze erhalten, weil die Nase der Nagetiere anders als die des Menschen die Fasern zurückhält. ten