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„Polnische Lösung“

■ betr.: Die Ereignisse in Polen 1981, taz vom 31.8. und 1.9.93

Auf die Rolle des Westens wird in der durch die Offenlegung der KPdSU-Protokolle aktuell gewordenen Rückschau auf die polnischen Ereignisse im Jahr 1981 leider nur unzureichend eingegangen. Dabei war die US-Regierung — wahrscheinlich auch andere westliche Regierungen — nicht nur vorab vom Jaruzelski-Putsch informiert, -Politiker, Militärs und Medien im Westen waren auch maßgeblich an der Desinformationskampagne beteiligt, durch die mit ständigem Hinweis auf ein bevorstehendes sowjetisches Eingreifen die Öffentlichkeit auf eine „polnische Lösung“ vorbereitet werden sollte. Die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen am 13. Dezember 1981 entsprach der politischen und wirtschaftlichen Interessenlage praktisch aller westlichen Länder, und es ist unsinnig, wenn Christian Semler die klammheimliche Zustimmung zum Putsch zu einer Angelegenheit der Regierung Schmidt und der deutschen Sozialdemokratie macht. Die eher symbolhaften Sanktionen gegen das polnische Militärregime dienten dann auch eher dazu die Öffentlichkeit des Westens, vor allem Reagans polnisch-stämmige Wähler, irrezuführen und liefertem dem Regime eine Begründung für den ausbleibenden Wirtschaftsaufschwung.

Interessanterweise wurde Jaruzelski gerade von jenen mehr oder minder offen als „Wahrer der europäischen Ordnung“ gewürdigt, die acht Jahre später die osteuropäische Wende — die diesmal von der Sowjetunion ausging und nicht mehr aufzuhalten war — als die lautesten Jubler begleiteten, zum Beispiel Spiegel-Herausgeber Augstein. Während für den Westen die Zeit von 1981 bis 1989 nochmals eine politische Stabilisierung und wirtschaftlichen Aufschwung brachte, waren es für Osteuropa acht verlorene Jahre.

Eine Schlußfolgerung verbleibt: Menschenrechtspolitik der Nato- Länder beurteilt man nicht aufgrund öffentlich vergossener Krokodilstränen ihrer Politiker, sondern nur nach einer nüchternen Analyse ihrer politischen und ökonomischen Interessenlage. Richard Kallok, Kaufungen

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