Fisch und EG – EG und Fisch

In Norwegens Wahlkampf hat es nur ein Thema gegeben – die Gemeinschaft, der sich das Land bisher verweigert hat / Montag kandidieren drei Frauen um das Spitzenamt  ■ Aus Hammerfest Reinhard Wolff

„Dann wählt euch doch eine andere Regierung, wenn ihr meint, daß die mit den Russen und den Isländern besser klarkommt!“ Zum ersten Mal während ihrer zweitägigen Wahlkampfreise durch die Nordprovinz Finnmark hat Gro Harlem Brundtland die Geduld verloren und schimpft, wie ihr der Mund gewachsen ist.

Fisch und EG – EG und Fisch. Es scheint nur ein Thema für die WählerInnen in Nordnorwegen zu geben. Auf dem Marktplatz von Hammerfest wollen mißtrauische Fischer der Ministerpräsidentin den einfachen Wahlkampfspruch „Die EG kriegt von uns keinen einzigen Fisch, sonst treten wir wieder aus!“ nicht abnehmen. Doch mit ihrem Temperamentausbruch hat sie plötzlich auch die SkeptikerInnen auf ihrer Seite. Eine, die frei von der Leber weg redet, gefährdet in Norwegen nicht die Würde des Ministerpräsidentenamts. Im Gegenteil.

Weil es auf jede Stimme ankommt, läßt sich Gro Harlem Brundtland auf dem Wochenmarkt noch zwei Kilo Walfleisch einpacken. Am selben Tag, als in Oslo die Nachricht der EG eingeht, daß ihr der 1988 vom EG- Kommissionspräsidenten Jacques Delors überreichte Umweltpreis der EG-Umweltorganisationen wegen des norwegischen Walfangs wieder aberkannt wird. Im Land wird sie diese Aberkennung keine einzige Wählerstimme kosten. Brundtland hat dem Rest der Welt gezeigt, daß sich Norwegen von niemandem seine Politik vorschreiben läßt. Da nimmt man ihr auch die Botschaft, Norwegen wieder aus der EG abzumelden, falls Brüssel nicht spurt, begeistert ab. Daß dies nach den EG-Verträgen rechtlich ziemlich unmöglich ist, vergißt auch die fast durchweg EG-freundliche Presse.

Die EG und drei Frauen bestimmen die politische Situation in Norwegen vor der Wahl. Frauen regieren Norwegen, Frauen werden auch nach den Parlamentswahlen am kommenden Montag das Land steuern. Allerdings peilen sie verschiedene Richtungen an. Norwegen dürfte das weltweit einzige Land sein, das neben einer Ministerpräsidentin auch noch auf zwei Frauen als Vorsitzende der führenden Parteien verweisen kann: Brundtland, die Ministerpräsidentin, die wieder kandidiert; Kaci Kullmann Five, Vorsitzende der größten Oppositionspartei, die konservative „Høyre“; und Anne Enger Lahnstein, Vorsitzende der möglichen Koalitionspartnerin für die beiden anderen, die bäuerliche „Zentrumspartei“. Gro, Kaci und Anne werden sie von den Medien genannt. Weil die NorwegerInnen Vornamen bevorzugen und wegen der langen Doppelnamen.

Ministerpräsidentin wird eine der drei werden. Obwohl es gegen das Gesetz der Serie ist – Brundtland hat bislang noch jeden Wahlkampf für ihre Partei verloren und wurde trotzdem dreimal Ministerpräsidentin – nachdem andere Regierungen das Handtuch warfen –, scheint sie jetzt die größten Chancen auf den Posten zu haben. Ihre Partei hat sich nach gewaltigen Popularitätseinbrüchen im letzten Jahr zumindest wieder auf das Niveau der letzten Wahlen von 1989 hochgearbeitet. Auf etwa ein Drittel der NorwegerInnen darf die nun allein regierende „Arbeiterpartei“ auch am Montag abend wieder rechnen.

Der Grund hierfür heißt Gro. Gerade in der Nordprovinz Finnmark wird klar, warum sie in der Rolle als Landesmutter kaum zu übertreffen ist. 70 Prozent lehnen ihren EG-Kurs ab, die Mehrheit der Fischer flucht über ihre Fischereipolitik. Trotzdem wollen mehr als 70 Prozent im Norden sie als Ministerpäsidentin behalten. Quer durch alle Parteien denken so landesweit etwa 55 Prozent der NorwegerInnen.

Erstaunlicherweise ist die Unterstützung für Brundtland noch deutlicher bei den RepräsentantInnen der Wirtschaft, die zu zwei Drittel auf die Sozialdemokratin und nur zu 17 Prozent auf Five, die Kandidatin von Høyre, setzen. Die Wirtschaftspolitik der Regierung Brundtland ist ein Grund hierfür. Deren Ergebnisse können sich im europäischen Vergleich sehen lassen: Nicht nur die Konzerne verzeichnen Gewinne, sondern auch den ArbeitnehmerInnen geht es besser als sonst in Europa – von der Inflation über das Lohnniveau bis zur Arbeitslosenrate. Das hat zwar vor allem mit Norwegens Ölreichtum zu tun. Doch die Ehre dafür darf Brundtland allemal einstreichen.

Geschickt haben die sozialdemokratischen WahlkampfstrategInnen auf Kontinuität und Sicherheit gesetzt: Gro mit Baby auf dem Schoß, Gro mit einem Alten im Arm. „Trygghet for framtida“ – Sicherheit für die Zukunft steht darüber.

Die Wirtschaft traut allein Brundtland zu, daß sie eine Mehrheit der NorwegerInnen für ein Ja zur EG gewinnen könnte. Gegen den Willen der beiden EG-Anhängerinnen Brundtland und Five ist das Thema EG in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gerückt. Die EG spaltet das Land seit über zwei Jahrzehnten. Zum vierten Mal hat Norwegen jetzt ein Beitrittsgesuch in Brüssel liegen. Die Volksabstimmung von 1972, die mit einem mehrheitlichen Nein endete, ist immer noch ein Trauma für das politische Establishment, das sich mehrheitlich für den Beitritt ausgesprochen hatte.

Brundtland zog sich im Wahlkampf aus der EG-Affäre. „Ich verhandle, Ihr entscheidet!“ verkünden die Wahlplakate der Schlußphase. Was sagen will, daß die NorwegerInnen am Montag erst einmal ein klares Votum zur Regierungsfrage abgeben sollen.

Diese Taktik hat die konservative Høyre und ihre Führungsfrau Kaci ratlos gemacht. Nach den letzten Wahlen war die von der Høyre geführte Rechtskoalition auf halbem Wege am EG-Thema, genauer gesagt an der Frage des Abkommens über einen Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zerbrochen. Die Zentrumspartei, die für ein Nein zu Brüssel steht, war damals ausgestiegen und wird Høyre auch jetzt zu keiner tragfähigen Mehrheit verhelfen. Høyre könnte nur von der rechtspopulistischen Fortschrittspartei, die derzeit bei 7,5 Prozent liegt, auf die Regierungsbank gehievt werden. Eine Mithilfe, gegen die Høyre im Gegensatz zu früheren Jahren nun nichts mehr einzuwenden hätte.

Zwar zeichnet sich keine Mehrheitsregierung auf der rechten Seite ab. Aber auch die SozialdemokratInnen dürften mit keiner parlamentarischen Mehrheit rechnen. Denn die beiden Parteien, die der Arbeiterpartei rechts und links am nächsten stehen, die Zentrumspartei und die Sozialistische Linkspartei (SV), haben jeweils ein großes Problem: die Europäische Gemeinschaft. Beide sind gegen Brüssel und haben damit kräftig Prozente bei den WählerInnen gemacht. Stimmen die Umfragen, können sie jeweils zwölf bis vierzehn Prozent bekommen. Ein Anti-EG-Block von einem Viertel der Parlamentssitze, mit dem eine Ministerpräsidentin Brundtland sich über das Regieren Norwegens irgendwie zusamenraufen müßte, bis die Abstimmung über die Europäische Gemeinschaft die Parteien endgültig scheidet.

„Ein Nein ist ein Ja zu etwas Besserem“, lautet die Botschaft von Lahnstein (Zentrum). Sie hatte nur ein Wahlkampfthema, die EG, und hat damit den Stimmenanteil ihrer Zentrumspartei nahezu verdoppelt.

Auch die linke SV, bei der die Frauenpower noch nicht bis zum Spitzenposten durchgeschlagen hat, verspricht der Arbeiterpartei Anti-EG-WählerInnen abzuziehen. Vor allem in den traditionellen sozialdemokratischen Hochburgen in Nordnorwegen. Sie hat hier bei den Umfragen schon die Arbeiterpartei hinter sich gelassen.