: US-Truppen massakrieren Somalis
■ Kampfhubschraubereinsatz nach Straßenkämpfen forderte vermutlich weit über 100 Menschenleben / Widersprüchliche UNO-Erklärungen vor Ort - aber das Massaker war laut Sicherheitsrat legal
Mogadischu/New York (wps/ AFP/taz) – Es sollen Hunderte gewesen sein: Somalis, die am Donnerstag abend von US-Kampfhubschraubern aus abgeschossen wurden. Wie viele bei dem UNO-Einsatz gegen eine Menschenmenge in der somalischen Hauptstadt Mogadischu starben, wird nie genau zu klären sein, auch nicht, ob es alles Zivilisten waren oder doch auch Untergrundkämpfer. Zurück bleibt der bittere Nachgeschmack der blutigsten Konfrontation zwischen Somalis und ausländischen Truppen seit Beginn der internationalen Intervention im Dezember 1992.
Es läßt sich nicht einmal klären, was eigentlich überhaupt geschehen ist. UNO-Militärsprecher David Stockwell verbreitete am Donnerstag zwei verschiedene Versionen, gestern legte die „Somalische Nationale Allianz“ (SNA) von General Farah Aidid mit einer eigenen nach, und Augenzeugen wollen noch anderes gesehen haben. Der Beginn jedenfalls ist leicht zu rekonstruieren: Am Donnerstag morgen rückte eine Kolonne von 100 pakistanischen Soldaten in die als Aidid-Hochburg geltende Straße „21. Oktober“ vor, um Straßensperren zu beseitigen, die seit der Schießerei zwischen Somalis und nigerianischen Blauhelmsoldaten am vergangenen Wochenende dort errichtet worden waren. Ihr Vorstoß bewegte Kinder dazu, am Straßenrand Autoreifen anzuzünden und damit eine intensive Rauchentwicklung auszulösen, so daß die UNO-Soldaten von Heckenschützen unter Beschuß genommen werden konnten. Sie mußten abziehen und kehrten am Nachmittag wieder, verstärkt durch Panzer sowie Angehörige der vor wenigen Wochen in Mogadischu eingetroffenen US-Elitetruppe und US-Kampfhubschraubern. Es kam zu Straßenkämpfen, ein UNO-Panzer wurde dabei von einer Granate getroffen und ging in Flammen auf – der erste Panzerverlust der UNO in Somalia. Die Kampfhubschrauber feuerten ihrerseits Raketen auf die Gebäude, wo Heckenschützen vermutet wurden. Die Kämpfe konzentrierten sich dann auf einen Bulldozer, den die UNO zur Straßenräumung einsetzen wollte; die US-Besatzung des Bulldozers wurde verwundet. Ein pakistanischer Soldat kam ums Leben.
Die UNO-Truppen mußten nach zwei Stunden intensiver Straßenkämpfe, bei denen die Somalis erstmals auch gepanzerte Fahrzeuge einsetzten, den Rückzug antreten, da ihnen die Munition ausgegangen war. Danach wird das Geschehen undurchsichtig. Nach der ersten Version David Stockwells geriet die abziehende UNO- Kolonne in eine Menschenmenge aus Männern, Frauen und Kindern. Ein US-Kampfhubschrauber habe dann das Feuer eröffnet, da sich in der Menge auch bewaffnete Milizionäre befunden hätten und „aus der Vogelperspektive der Eindruck bestand, daß das Leben der Soldaten gefährdet war“. Es sei ein „letztes Mittel“ und ein „bedauerlicher“ Zwischenfall gewesen. Später nahm der UNO-Militärsprecher das alles zurück: Die Menschenmenge habe die UNO- Truppe nicht umringt, sondern sie habe sich hinter einer Mauer befunden und mit Granaten geworfen. „Die Frauen und Kinder waren Kampfteilnehmer. Sie benutzten Waffen und Granaten“, meinte er nun. Die SNA erklärte, der Hubschrauber habe das Feuer auf wehrlose Zivilisten eröffnet, die gegen das UNO-Vorgehen bei den vorherigen Straßenkämpfen protestiert hätten.
Wie dem auch sei: Der Hubschrauberangriff richtete ein Blutbad unter den Somalis an. Von UNO-Seite werden keine Zahlen genannt; es war nur die Rede von „vielen“ Opfern. Die SNA spricht von 150 Toten, Augenzeugen von 200. Alle Seiten stimmen überein, daß sich viele Frauen und Kinder unter den Opfern befinden.
Der UNO-Sicherheitsrat stellte sich noch am selben Abend hinter die UNO-Truppen. In einer Erklärung hieß es, alle Mitglieder der Menschenmenge – also auch die Kinder – hätten den Status von Kombattanten gehabt, da die Unbewaffneten als Schutzschilder für Bewaffnete gedient hätten. Es sei deshalb legitim gewesen, sie anzugreifen. Die Verantwortung für den Vorfall trage Aidid, da es sich um seine Anhänger handele. Bekräftigt wurde die „Entschlossenheit“ der UNO, in Somalia für ein Klima der Sicherheit zu sorgen.
Sicherheit? Noch nie haben Friedenstruppen so viele Zivilisten getötet. Und zu mehr Sicherheit führte das Blutbad bislang nicht. Noch in der Nacht zum Freitag tauchten brennende Straßensperren im gesamten Süden Mogadischus auf. Die Straße „21. Oktober“ befand sich gestern fest in den Händen der UNO-Gegner. Und was Aidid mit der ganzen Sache zu tun haben soll, wird immer unklarer. Ein Journalist des Guardian berichtete, die Jugendlichen an den Straßenbarrikaden hätten sogar hochrangige SNA-Führer am Passieren gehindert; er zitiert einen Fahrer: „Sie nehmen ihnen Geld ab, um Benzin zu kaufen, womit die Straßenblockaden angezündet werden.“ Und gestern nachmittag brachen im Süden Mogadischus schwere Kämpfe zwischen Milizionären von Aidids Habr-Gedir-Clan und Angehörigen des Hawadle-Clans aus, bei denen auch Raketenwerfer eingesetzt wurden. Die UNO schien das nicht zu kümmern. US-Hubschrauber beschränkten sich darauf, das Kampfgebiet zu überfliegen, ohne einzugreifen.
Unter dem Eindruck des Massakers forderte der US-Senat Präsident Clinton auf, bis zum 15. Oktober dem Senat seine Ziele in Somalia offenzulegen und den Kongreß bis zum 15. November um Genehmigung für den Militäreinsatz zu ersuchen. Während Generalstabschef Powell eindringlich gegen einen Rückzug plädierte, kritisierte Senator John McCain: „Wir sind nach Somalia gegangen, um gegen den Hunger vorzugehen. Jetzt töten wir Frauen und Kinder.“ D.J.
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