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Die Konjunktur der Schwarzmalerei

Polens Linke profitiert von den Problemen der Wirtschaftsreform: Aus den morgigen Parlamentswahlen dürften die Ex-Kommunisten als Sieger hervorgehen  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Die alte Frau in ihrem ausgewaschenen Trainingsanzug ist sichtlich gerührt: „Aber sicher werde ich euch wählen“, versichert sie und stapft, einen Kohlkopf unter dem Arm schleppend davon, „ganz bestimmt.“ Der bunte Zug, dem sie ihre Last verdankt, rumpelt fröhlich weiter, begleitet von singenden Bauern, angeführt von Gabriel Janowski, dem gerade erst abgetretenen Landwirtschaftsminister der Regierung Suchocka, der seines Rücktritts wegen nun so recht die Vorteile des Oppositionellendaseins genießen kann: „Wir sind dafür, Polen vor billigen Lebensmitteln aus dem Ausland zu schützen. Unsere Produkte sind genausogut. Höhere Zölle und Subventionen für polnische Landwirte. Mit uns für eine starke Bauernschaft“, trommelt er, während sein Wahlkampfzug, angeführt von einem zur Lokomotive umgebauten Traktor durch die Warschauer Innenstadt tuckert und seine Helfer Kohlköpfe und Äpfel unter das Wahlvolk verteilen. Der Einfall hat Erfolg, obwohl Janowskis Forderungen den Interessen der Großstädter widersprechen: Denn höhere Preise für Lebensmittel – die direkte Folge von höheren Zöllen – wollen sie natürlich nicht.

Doch Janowski schwimmt auf einer Welle der Unzufriedenheit, und das gibt den Ausschlag. Bis auf die bisherigen Regierungsparteien Demokratische Union, Liberale und Christdemokraten haben alle Wahlkämpfer in Polen zur Zeit eines gemeinsam: Sie malen die Wirklichkeit in den düstersten Farben. Daß seit 1990 die Reallöhne um 30 Prozent zurückgingen, daß die Arbeitslosigkeit 14 Prozent beträgt, daß Polen von der Regierung an ausländische Großkonzerne verschleudert werden soll – all dies erfahren Polens Wähler zur Zeit sowohl aus kommunistischen als auch aus rechten und rechtsextremen Zeitungen, Flugblättern und Wahlkampfsendungen.

Die Schwarzmalerei hat Hochkonjunktur, von der rechtsradikalen „Bauernselbstverteidigung“, gegen die die Staatsanwaltschaften in 37 Fällen wegen gewalttätiger Übergriffe auf politische Gegner ermitteln, bis zu Polens exkommunistischen Sozialdemokraten. Da hilft es Demokratischer Union und Liberalen wenig, wenn sie darauf hinweisen, daß die Inflation nur noch bei 35 Prozent im Jahr liegt und Polen als erstes osteuropäisches Land wieder ein wachsendes Bruttosozialprodukt und ein leichtes Ansteigen der Reallöhne verzeichnen kann.

Schwierig haben es da besonders die Christnationalen, die bei den letzten Wahlen ebenfalls noch auf der Unzufriedenheitswelle reiten konnten, aber seither an der Regierung waren und nun schlecht ihre eigenen Minister kritisieren können. Ihnen verdankt Polen dafür die ersten ausländerfeindlichen Parolen des Wahlkampfs, sieht man von den fast überall populären Warnungen von einem drohenden Ausverkauf von Boden und Fabriken an Deutsche einmal ab. Aktivisten der Christnationalen zogen so durch den Warschauer Zentralbahnhof und verteilten Flugblätter gegen Touristen und Händler aus der Ukraine und Rußland: „Polen, das Vaterland gehört euch“, war da zu lesen, „wir verlangen Visazwang für die Bürger der Ex-UdSSR. Die Ankömmlinge aus dem Osten schaffen jährlich 1,5 Milliarden Dollar aus unserem Land und bringen dafür Typhus und Malaria, Rauschgift, Waffen und radioaktive Stoffe.“

Nach Kritik auch aus den eigenen Reihen wurde der Wahlkampf diese Woche unter dem Motto „Law and Order“ fortgesetzt: Gefordert wurde mehr Geld für die Polizei, gestartet eine Aktion „Kauft polnische Produkte“.

Geholfen hat es wenig. Nach den letzten Umfragen kann die Polnische Bauernpartei mit kanpp 20, das „Demokratische Linksbündnis“ dagegen mit über 16 Prozent rechnen. Beide Parteien haben eine eindeutige Vergangenheit: Das „Bündnis“ ist ein Konglomerat aus exkommunistischen Sozialdemokraten, den früheren kommunistischen Gewerkschaften und einigen exotischen Gruppen, wie dem Kattowitzer „Bund der polnischen Kommunisten/Proletariat“. Die „Polnische Bauernpartei“ dagegen war vor 1990 eine Blockpartei. Beiden gemeinsam ist ein gespaltenes Verhältnis zur Marktwirtschaft: Forderungen nach Steuererhöhungen und eine Begrenzung der Privatisierung bestimmen ihr Programm.

Gewählt werden die Linken nach Ansicht eines Warschauer Meinungsforschers erwartungsgemäß von Arbeitern und Angestellten der bankrotten Staatsbetriebe. Andererseits würden Arbeiter auch für die „Konföderation Unabhängiges Polen“, die ein linkes Wirtschaftsprogramm mit antikommunistischer Rhetorik verbindet, stimmen.

Die für die Linke günstigen Umfragen haben bereits erhebliche Nervosität auf der anderen Seite ausgelöst. Aleksander Hall, Exminister und Chef der mit den Christnationalen verbündeten Konservativen, ist überzeugt, daß Polens Rechte bei den Wahlen Federn lassen wird: „Ich hoffe, daß danach keine linke Regierung an die Macht kommt, das wäre eine Tragödie. Wir würden dann irgendwo zwischen Ost und West hängenbleiben.“ Hintergrund: Die exkommunistische Linke geht auf Distanz zu dem von nahezu allen Parteien geteilten Wunsch nach dem Eintritt in die Nato – erst müsse sich die Nato reformieren.

Was tatsächlich unter einer postkommunistischen Regierung passieren wird, vermag jedoch niemand wirklich vorauszusehen: In den Reihen der Kommunisten gibt es zwar Kommunismus-Nostalgiker, in der Parteiführung dagegen aber auch Neoliberale, die als Manager und Firmenbesitzer an der Marktwirtschaft ganz gut verdienen. Die dreijährige Isolierung der Partei im Parlament hat diesen innerparteilichen Konflikt bisher stets zugedeckt. So könnte sich ein Wahlsieg für die Partei leicht als Pyrrhus-Sieg erweisen und mit einer Spaltung enden.

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