: Nur fair
Betriebssabotage in den USA. Ein Lesebuch ■ Von Stephan Schurr
Es gibt ihn also noch, den sogenannten Klassenkampf. Gewiß – am Verhandlungstisch ausgefochten, ist er eine ehrenwerte, zeitraubende und ziemlich langweilige Angelegenheit der beteiligten Damen und Herren. Beim Streit sind die Gemüter schon erhitzter und wissen sich in Szene zu setzen. Die direkte Aktion der Lohnabhängigen hingegen, die ihr Recht auf Selbstverteidigung behaupten, wird als „Sabotage“ totgeschwiegen und verteufelt. Ginge es nach dem gleichnamigen Lesebuch, sollte sich das ändern.
Wie rasch und effektiv die Umwandlung eines Produktionsablaufs zu überzeugenden Ergebnissen führt, zeigt das Beispiel des Gurkeneinlegers Terry aus dem US-Bundesstaat Michigan. In Tante Jane's Pickle-Fabrik fühlte er sich so schikanös behandelt, daß er eines Tages statt Gurken Gläser in die Abfüllmaschine warf und alle Räder für geraume Zeit zum Stillstand brachte. Terry wurde am Arbeitsplatz nicht dingfest gemacht.
Statt dessen ist seine kurze Geschichte aufgeschrieben worden. Auch die anderen über hundert KlasseneinzelkämpferInnen, nur mit Vornamen genannt, wurden Teil eines Sammelbands, nach Wirtschaftszweigen geordnet. „Wildcat und ihre FreundInnen“ haben das Buch mit einiger Mühe (was man leider merkt) vor kurzem ins Deutsche übersetzt. Zum ersten Mal wird dadurch in einem Musterland europäischer Qualitätsarbeit ein Thema angesprochen, das weitgehend tabuisiert und bisher wohl nur in Chefetagen diskutiert wird.
Martin Sprouse, Herausgeber des Bands, und früher an der Frankiermaschine in der Poststelle eines Börsenmagazins in San Francisco tätig, hatte Ende der achtziger Jahre die subversiven Aktivitäten von Angestellten und ArbeiterInnen erkundet. Vorbilder waren für ihn Studs Terkel und die Anhänger der oral history. Unter den Begriff „Sabotage“ faßt Sprouse „alles, was du bei der Arbeit tust und eigentlich nicht tun solltest“. Sabotage ist für ihn kein Problem, „sondern [...] eine notwendige und angemessene Reaktion auf durch die Arbeit verursachte Unzufriedenheit“.
Seine Interviewpartner waren ansonsten unbescholtene Bürger – vom Zwölfjährigen bis zum Pensionär – aus allen Einkommensschichten. Der gutverdienende Programmierer, der das Lohnbuchhaltungssystem der Bank of America ruinierte, ist darunter, aber auch Karl, der als Teenager in einem Supermarkt jobbte und sich am „Schwund“ von Waren im Wert mehrerer zigtausend Dollar beteiligte.
Die Motive der Saboteure unterscheiden sich kaum: Unzufriedenheit mit dem Lohn, mit den Arbeitsbedingungen in den meist gewerkschaftsfreien Betrieben, ungerechte Behandlung durch Vorgesetzte oder ein Schicksal, das Iris mit fast allen Interviewten des Buches teilt: „Der Chef war ein großes Arschloch.“ Die Mittel zur Durchführung der Akte, die dem Arbeitenden gelegentlich über den Frust hinweghelfen können, sind oft die Computertastatur, Schraubenschlüssel oder kräftige Oberarme. Wachmann Robin räumte binnen weniger Monate ein 500-Betten-Hotel leer.
Sabotage ist eben ein einsames Geschäft, denn Verbündete und Helfer erhöhen das Risiko. Die wenigen Beispiele abgesprochener Aktionen haben meistens zum Ziel, den Chef (siehe oben) zur Lohnzahlung zu zwingen. Kein Grund also, solche Unternehmungen als Beginn „kollektiver Kämpfe“ zu würdigen, wie es das Schlagwortkeulen schwingende Vorwort des deutschen Verlages tut. Sachliche Informationen, etwa zum Arbeitsrecht in den USA, wären an einigen Stellen nützlicher gewesen. Wie soll man ohne Detailerklärung begreifen, daß die „Sterbehilfe“ eines Krankenpflegers unbestraft blieb?
Keiner Erklärung bedürfen jedoch die Einsichten des Monteurs Eugene, der unzählige Autofahrer zur Verzweiflung gebracht haben dürfte, indem er in der Vergasermontage die Pannen programmierte. Spezieller ist der Fall des Immobilienverwalters Kent, der die Firma schädigte, indem er die Kunden in unvorgesehener Weise fair behandelte. Amerikanische Verhältnisse? Der Verlag plant ein ähnliches Lesebuch mit deutschen Geschichten und wartet auf Zuschriften. Vielleicht läßt sich dadurch auch in Erfahrung bringen, wie es zu den zahlreichen Druckfehlern in diesem Buch kam und warum es so schlecht gebunden wurde.
Martin Sprouse (Hrsg.): „Sabotage. ArbeiterInnen aus den USA erzählen ihre Version des alltäglichen Klassenkampfes“. S.-Sisina- Verlag, 10975 Berlin, 159 Seiten, 16 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen