: Kritik der reinen Wünsche
Das Kölner Museum Ludwig zeigt die „Photographie in der deutschen Gegenwartskunst“: historisch und programmatisch, geheimnisumwittert und banal. Eine Ausstellung – erstaunlich – aus Minneapolis ■ Von Thomas Fechner-Smarsly
Beuys schreitet – dem Betrachter entgegen! Programmatischer kann eine Ausstellung über „Photographie in der deutschen Gegenwartskunst“ kaum beginnen. Mannsgroß, auf sepiafarbenem Grund, zeigt diese Ikone der Fluxusepoche den Künstler als ewig Wandelnden: sich selbst und die Dinge und den Blick auf sie.
Die erste Koje im Kölner Museum Ludwig gleicht einem intimen Gedenkraum: einige Fotografien dokumentieren Aktionen und wurden ihrerseits von Beuys durch eine knappe Bearbeitung zu eigenständigen Werken erhoben – war seine Kunst doch schon immer die besondere Art der Wiederverwertung. Als der Künstler im Kreise seiner Lieben einmal Capt Kirk guckte, wurde das Medienereignis – inszeniert oder nicht – gleich per Schnappschuß festgehalten und in einer Zinkkiste verstaut.
„Enterprise“, eine Arbeit aus dem Jahre 1973 (zu der noch ein Pendant gehört: Kamera mit filzverklebter Linse), steht durchaus exemplarisch für das Unternehmen „Erweiterter Kunstbegriff“ und zeigt zugleich, was den Künstler und Lehrer zur Schlüsselfigur in einer derartigen Ausstellung macht: nicht seine Entschiedenheit im Einsatz des Mediums, sondern die Spannweite und die möglichen Wechselbeziehungen, die Beuys erzeugt zwischen Dokument und Material, technischem Vehikel und künstlerischem Prozeß, malerischer Geste und medienkritischem Diskurs. Obwohl er die Fotografie nur nebenbei benutzte, meist noch nicht einmal selber, deutet sich bei Beuys doch vieles davon an.
Was wurde nicht alles aus Fluxus, aus den Aktionen und Happenings: Wenn Bernhard und Anna Blume den akrobatischen Alltag und den horrenden Wahn von Familie Spießer auf die Schippe nehmen und Jürgen Klauke seinen artifiziellen Verwandlungsstücken freien Lauf läßt, so bannen sie ihr Tun längst ohne den öffentlichen Umweg der Performance auf die Bromsilberschicht. Die Fotografie bietet die Möglichkeit, auch jene vergänglichen Ereignisse der Kunst festzuhalten, die ansonsten kaum ins öffentliche Bewußtsein drängen, und sei es nur dasjenige der Kunstvereine und musealen Foyers.
Aber auch das Wechselspiel zwischen Linse und Pinsel, das Sigmar Polke oder Martin Kippenberger erzeugen, bis hin zur mutwilligen Kunstprobe und zum mutmaßlichen Fake, gehört noch in den Einflußbereich von Beuys. Wobei die Fotos durch Übermalungen zu bearbeiten eine Möglichkeit ist, eine andere, sie ins Werk zu integrieren. Hier jedoch treiben zwei Künstler ein ganz anderes Spiel. Indem Kippenberger seine Malereien erst abfotografiert und die Fotografien signiert, um die Bilder hernach zu zerstören, stellt er die alte Frage nach der Aura des Originals aufs neue. Aus einer ganz ähnlichen Perspektive betreibt Polke mit seinen Raster- und Röntgenversionen und seinen ausschnitthaften „Vermutungszeichnungen“ von Goyas Gemälde „Die Alten“ eine niedere Kunst der Fälschung auf einer höheren Ebene. Es ergibt sich der Eindruck einer (fingierten) kunsthistorischen Echtheitsprüfung.
Beuys und die Folgen bilden allerdings nur einen, wenngleich wichtigen Strang der Ausstellung. Gewissermaßen als Antipoden und als Vertreter einer „fotografischen Fotografie“ treten Bernd und Hilla Becher auf. Sie beharren auf einer Sachlichkeit des Mediums, dessen spezifischen Eigenwert sie nicht nur als Künstler, sondern auch als Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie vermitteln. Seit den siebziger Jahren dokumentieren die Bechers in ihren Fotoserien vor allem Industriedenkmäler. Fördertürme und Wasserspeicher, aber auch Fachwerkhäuser einer Bergwerksregion ergeben eine Typologie der Industrielandschaft – und zeigen ihre Vergänglichkeit. Damit betreiben sie zugleich eine kollektive Geschichtsschreibung unter ästhetischen Gesichtspunkten. Was daran jedoch lange Zeit verkannt wurde, ist der konzeptionelle Aspekt, der das Ganze über bloßen Dokumentarismus weit hinaushebt.
Daß mit diesem Ansatz ganz eigenständige Ergebnisse möglich sind, deren Gehalt noch oder wieder stärker zum autonomen Werk tendiert, zeigt sich besonders schön an Candida Höfer, die neben Thomas Ruff, Andreas Gursky und Thomas Struth den Schülerkreis der Bechers vertritt. Auf ihren Farbbildern wählt sie mit ungemeinem Gespür für die Perspektive vor allem menschenleere Innenräume. Sie öffnet diese Orte regelrecht für deren ganz eigenen Rhythmus. Säulen und Vorhänge, Fenster- und Stuhlreihen, Neonleuchten und Bodenplatten entwickeln plötzlich eine geradezu musikalische Qualität.
Die Ausstellung will nicht nur die verschiedenen Pole im künstlerischen Umgang mit Fotografie deutlich machen; sie versteht sich vor allem historisch und verfolgt einen Entwicklungszeitraum von etwa dreißig Jahren. Um 1960 machte sich, zumindest in Deutschland, ein Wandel im Verhältnis zur Fotografie bemerkbar. Waren es vorher qualitativ hochwertige Abzüge, die in kleiner Auflage hergestellt wurden, so begannen mit Pop-, Concept- und Land-art, mit Happening und Fluxus ein neues Verständnis und eine breite Anwendung von Fotografie im Bereich der bildenden Kunst. Zugleich setzte man sich zunehmend mit den Präsentationsformen auseinander.
Der früh verstorbene Peter Roehr collagierte bereits in den sechziger Jahren ein und dasselbe Motiv, das er meist der Werbung oder einer Illustrierten entnahm, in endloser Wiederholung zu minimalistischen Kompositionen. Der lederbezogene Autositz oder der verliebte Blick über die Kaffeetasse, Bilder wie aus einem angehaltenen Werbefilm über das Wirtschaftswunder, dessen plötzliche Erstarrung die Monotonie des Alltags und seiner künstlichen Idyllen vermittelt.
Auch Hans-Peter Feldmann arbeitet mit solchen Alltagsbildern, sammelt Kitschpostkarten und Kunstlichtposter, kontrastiert Pin- ups mit Bildern aus dem Familienalbum und fügt sie zu einer Konzeptkunst zusammen, die auch so etwas wie eine Kritik der reinen Wünsche darstellt.
Gerade bei den neueren Arbeiten zeigt sich dann die Schwäche der Ausstellung. Historisch und aktuell sein zu wollen, die große Linie neben dem schmalen Grat zu zeigen, das Repräsentative neben dem Einzelgängertum – dieser Anspruch ist zu hoch. Und der Gedanke, jedem der vierundzwanzig Künstler einen Raum zur Verfügung zu stellen, wohl allzu egalitär. Dies alles gibt es also, denkt sich da der Betrachter und weiß nicht recht, wie er es finden soll. Alles gleich wichtig? Welchen Stellenwert soll er denn den vordergründig dekorativen, die Assoziation herausfordernden Mustern eines Rudolf Bonvie beimessen? Handelt es sich nur um eine neue Abstraktion, eine Rückkehr zur subjektiven Fotografie im Blow-up- Format oder um einen medialen Rorschachtest, der die Irritation zum Ziel hat? Und was machen gleich nebenan Astrid Kleins Bilder über das historische Scheitern mit ihrem düsteren Pathos und ihren Bezügen auf das traditionelle Genre des Altartriptychons? Wohin, zum Beispiel, mit dem Manierierten und Geheimnisumwitterten, jenem Gestus, der vor allem die Filme von Peter Greenaway auszeichnet? Mit seinen Doppelporträts weckt Bernhard Prinz nicht nur Anklänge an die Ästhetik des filmenden Malers und malenden Filmemachers Greenaway, sondern zitiert – wie dieser – heroische Bildtraditionen der Renaissance und des Barock mit ihrer ausgeklügelten Symbolik. Hier paaren sich Pathos und Ideal auf eine Weise, daß man nicht einmal zu sagen wüßte, ob denn der Anflug von Ironie ein Abstandnehmen von der allegorischen Pose bedeutet oder nur die Steigerung ihrer Doppelbödigkeit.
Allemal gesteigert wird dieser Eindruck von der latenten Gewalt auf den Porträts von Katharina Sieverding. Maskenhafte Erscheinungen, Solarisationen des Humanen, die im Labor bis an den Rand der visuellen Unkenntlichkeit bearbeitet wurden. Wie unter großer Hitzeeinwirkung verwandeln sich diese Gesichter, sie schmelzen dahin, lösen sich auf. Sieverding entwirft Phantombilder für eine Gegenwart, der sie bereits mit ihrer Plakataktion ein Menetekel an die öffentlichen Wände schrieb: „Deutschland wird deutscher“.
Doch was ist nun deutsch an diesen Fotografien? Es ist eine regionale Ausstellung von internationalem Format geworden – und umgekehrt. Fast alle Künstler leben in Nordrhein-Westfalen, acht von ihnen allein in Köln. Dennoch wüßte man gern, ob etwas und, wenn ja, was die Künstler von ihren Kollegen aus anderen Himmelsstrichen trennt.
Allerdings wurde die Schau nicht im Rheinland konzipiert, sondern in Minneapolis am dortigen Walker Art Center von dessen Kurator für die moderne europäische Kunst, Gary Garrels. Sie kam über drei amerikanische Stationen – unter anderem das Guggenheim- Museum in New York – nach Deutschland, von wo sie nach Basel und Kopenhagen weiterwandert. Vielleicht gelingt es der Ausstellung dann, den Regionalismusverdacht abzustreifen.
„Photographie in der deutschen Gegenwartskunst“. Museum Ludwig, Köln. Bis zum 17. November. Katalog (Ed. Cantz): 39 DM
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