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So laufet nun mit Geduld

■ Gesichter der Großstadt: Der Spandauer Pfarrer Klaus Feierabend bereicherte den gestrigen Berlin-Marathon mit einer Theologie des Joggens und lief selbst mit

Am gestrigen Sonntag mußten die Schäfchen der evangelischen Nathan-Söderblom-Gemeinde in Spandau ohne ihren Hirten auskommen. Während statt dessen Frau Pirscher ihre Stimme zur Predigt erhob, ließ der Gemeinde- Seelsorger von ferne „laufend“ grüßen.

Was sich zunächst wie ein biblisches Wunder anhören mag, hat einen ganz profanen Grund: Pfarrer Klaus Feierabend, Oberhaupt der „Familie Söderblom“, nahm zur besten Andachtszeit gerade den Berlin-Marathon in Angriff. „Ich habe das Glück, daß meine Gemeindemitglieder den Gottesdienst selbst machen können“, beruhigte der klerikale Lungenakrobat jene Kollegen, die ihn deshalb am liebsten der Inquisition überantworten würden. „Die dickbäuchige Langatmigkeit vieler Priester ist noch längst kein Zeichen für die Nähe zum Herrn“, kontert der fitte Spandauer Pfarrer alle Vorwürfe. Schließlich hat sich der 59jährige Seelsorger in Laufschuhen während des Studiums der Heiligen Schrift ausreichend mit Belegen für die Gottgefälligkeit seines Hobbys versorgt: Es steht etwa geschrieben, daß die Jünger zu Jesus liefen und der stets zur Fülligkeit neigende Petrus dem wesentlichen tougheren Mit-Apostel Johannes im wohl ersten Wettlauf der neuen Zeitrechnung deutlich unterlag. „Petrus hat ohnehin erst recht spät die Kurve gekriegt“, bemerkt Feierabend ganz beiläufig.

Sein stärkstes Argument pro Jogging bezieht der Spandauer Gelehrte jedoch aus dem Hebräerbrief Kapitel 12: „So laufet nun mit Geduld in dem Kampf, der euch verordnet ist“, heißt es da in der Lutherischen Übersetzung, wobei das griechische Urwort „dynamis“ für „Geduld“ getrost auch mit „verhaltener Kraft“ oder „zielbewußtes Warten“ eingedeutscht werden kann – für Klaus Feierabend ein deutlicher Hinweis auf die Eigenschaften und Erfordernisse eines Marathons. „So soll der Mensch leben: ein Ziel anstreben, das nicht gleich zu erreichen ist, aber er soll auch bereit sein, anzuhalten, sich zu entspannen, sich unterbrechen zu lassen. Das könnte ich gut auf einen Marathonlauf übertragen!“

Nach Erklärungen wie diesen, die in Joggerkreisen wie Balsam auf lädierte Füße wirken, gieren selbstverständlich viele SportlerInnen, die am Wochenende aus allen Himmelsrichtungen nach Berlin strömten. Doch bevor sie den Berliner Asphalt 42,195 Kilometer weit unter großen Selbstzweifeln und Mühen in Beschlag nahmen, eilten die schweißtreibenden Wesen vom Planeten Marathon am Vorabend des Spektakels in hellen Scharen in die Gedächtniskirche.

Dort zelebrierte Pfarrer Feierabend einen traditionellen ökumenischen Marathon-Gottesdienst. Dabei ging es recht munter zu, steht der Spandauer Jogging-Theologe doch für eine lockere „Mischung aus Besinnung und Gaudi“. „Meine Zeit steht in deinen Händen“, lautete schon mal das Motto der Feierabendschen Predigt. Ein Schalk, wer Böses dabei denkt! Und wenn der Herr Pfarrer von Mutter Maria spricht, assoziiert diese manch eine im Auditorium reinen Herzens mit der amerikanischen Wunderläuferin Mary Decker. Die Gedächtniskirche war endlich mal wieder gerammelt voll, freute sich denn auch Horst Milde, der Cheforganisator der Großveranstaltung an der Spree.

„An der Gedächtniskirche ist Feierabend“, frohlockten altgediente Berlin-Marathonis doppeldeutig, die beileibe nicht nur das Laufziel am architektonischen Wahrzeichen dieser Stadt im Sinn haben. Der geistliche Mitläufer aus Spandau erzählt zwar von den Seinen zumeist nur Gutes, doch idealisieren oder gar mystisch überhöhen will er die Renner nun wirklich nicht: „Klar, es gibt auch Stinkstiefel und Rüpel unter ihnen, und auf der Strecke hat man sicherlich nicht nur edle Gedanken, da befallen einen auch schon mal durchaus prosaische Gefühle...“

Dennoch hält er die Ausdauergilde für einen gelungenen Entwurf der vielbeschworenen multikulturellen Gesellschaft. Klaus Feierabend: „Ich habe die Hoffnung, daß immer mehr Menschen zusammen laufen, daß da ganz neue Gedanken und Gefühle wachsen können. Denn wer läuft, ist nicht nur besonders sensibel für die Umgebung und die Leute an der Strecke, er ändert auch ständig seinen Standort. Er gibt also laufend alte Standpunkte und Vorurteile auf. Läufer sind Weltenbürger und Kinder Gottes in ein und derselben Wohnung, nur eben in verschiedenen Zimmern.“

Nach seinen ganz profanen Ambitionen „on the road“ befragt, weist der Berliner Pfarrer Verdächtigungen vehement zurück, er sei von Berufs wegen eindeutig im Vorteil: „Mich schubst kein Engel an, und kein Heiliger Geist sorgt für Rückenwind, wenn ich müde bin. Seit 2.000 Jahren hat sich der Herr aus diesen weltlichen Dingen ausgeklinkt!“ Er hat sich selbst ein durchaus irdisches Ziel gesetzt: „Wenn ich knapp unter vier Stunden laufen würde, wäre ich wirklich sehr zufrieden.“ Jürgen Schulz

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