: Neue Risse im AKW Philippsburg
■ Austenit-Stahlrohre werden jetzt vorzeitig ausgetauscht
Berlin (taz) – Auch die Edelstahlleitungen im baden-württembergischen AKW Philippsburg 1 sind rissig. Bei der laufenden Revision des Siedewasserreaktors sind nach Informationen der taz mindestens drei Anomalien an den Austenitstahlrohren aufgetaucht.
Zwei rissige Schweißnähte seien zur näheren Untersuchung in ein Labor gegeben worden, so der Sprecher der Betreibergesellschaft Energieversorgung Schwaben, Gerhard Kübler. Von den 200 Schweißnähten, die untersucht werden sollten und im Reaktor bleiben, seien bislang 180 geröntgt worden. Ultraschallüberprüfungen an den verbleibenden Rohren wie in Bayern nehme man nicht vor.
Das schlimme Ende kommt in Philippsburg aber erst noch: Auch in diesem AKW werden derzeit für rund 60 Millionen Mark die fehleranfälligen Zwangspumpsysteme und die Rohrleitungen des Lagerdruckwassersystems ersetzt. In eben jenen Systemen hatten die Prüfer im Frühjahr in Brunsbüttel und jetzt auch im bayerischen AKW Ohu I 23 zum Teil sehr tiefe Risse entdeckt. „Wir müssen wohl damit rechnen, daß auch wir dort die eine oder andere Anzeige haben“, so der Technische Leiter des AKW Günter Langetepe gestern. Die Untersuchung der ausgebauten Rohre habe aber gerade erst angefangen. Ergebnisse liegen nach Ministeriumsangaben frühestens in einer Woche vor.
In Philippsburg war man sich der Gefahr durch die Austenitstahlrohre seit längerem bewußt. Die Zwangsumwälzpumpen und die rißverdächtigen Austenitrohre des Lagerdruckwassersystems sollten eigentlich im Frühjahr 1994 ausgewechselt werden. Nach den Berichten über Sicherheitsmängel im praktisch baugleichen AKW Brunsbüttel wurde der Austausch der Rohre aber vorgezogen. „Die Entscheidung, den Austausch vorzuziehen, hängt zusammen mit den Problemen in Brunsbüttel und ist im März getroffen worden“, sagte Langetepe der taz. Der Austausch sei mit den baden-württembergischen Behörden und den Gutachtern abgestimmt und Anfang Juli dieses Jahres genehmigt worden.
Langetepe räumte auch ein, daß die Risse wahrscheinlich doch betriebsbedingt sind. „Wenn relativ ungünstige Randbedingungen bei der Fertigung und ungünstige betriebsbedingte Einflüsse zusammentreffen“, könnten die Rohre schon mal rissig werden.
Die Haltung der Bonner Reaktorsicherheitskommission, die nach wie vor davon ausgeht, daß solche Risse nur bei der Fertigung entstehen können, wird durch die neuen Erkenntnisse aus Philippsburg immer obskurer. Während die Reaktorbetreiber selber den Austenitstählen im Frühjahr nicht mehr trauten, verharmlost das Beratungsgremium von Bundesumweltminister Töpfer die Befunde weiterhin.
Seltsam auch die Differenz beim Umgang mit den Rissen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Während die Landesregierung in Kiel den Siedewasserreaktor in Brunsbüttel auch wegen der Risse vorläufig stillgelegt hat, teilt man zwar in Stuttgart die Bedenken gegen die eingesetzten Werkstoffe. SPD-Umweltminister Harald Schäfer sah darin aber keine hinreichende Handhabe, um den Reaktor vorläufig stillzulegen. „Wir hatten bis zum Frühjahr keinen Befund und hätten gar nicht abschalten können“, so Schäfers Sprecher Harald Notter noch gestern. Hermann-Josef Tenhagen
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