: Peace-keeping-Mission in Bosnien nach wie vor offen
■ Die Entsendung einer Nato-Truppe, die im Auftrag der Vereinten Nationen ein Bosnien-Abkommen umzusetzen und zu überwachen hätte, ist höchst ungewiß
Stimmt das bosnische Parlament in Sarajevo bei seinen heute beginnenden Beratungen dem Bosnien-Abkommen endgültig und ohne weitere Nachbesserungsforderungen zu, dürfte das Dokument wenige Tage später von den drei Kriegsparteien unterschrieben werden. 72 Stunden nach Unterzeichnung soll das Abkommen dann mit einem vollständigen Waffenstillstand in Kraft treten. Als nächste Schritte sind die Entflechtung der gegnerischen Truppen und Milizen sowie der Rückzug aller schweren Waffen vorgesehen.
Eine erfolgreiche Umsetzung dieser wichtigen Schritte ist nach Einschätzung der meisten Beobachter abhängig von einer erheblichen Verstärkung der derzeit in Bosnien stationierten rund 8.200 UNPROFOR-Soldaten. 50.000 Mann gelten unter den mit den Planungen befaßten Experten in der New Yorker UNO-Zentrale als Minimum. Doch ob und wann eine Truppe dieses Umfangs in Bosnien stationiert wird, ist nach wie vor offen. Zwar diskutiert die Nato, deren Mitgliedsstaaten nach den bisherigen Planungen rund 95 Prozent der zusätzlichen Soldaten aufbringen sollen, seit über neun Monaten ihre Rolle für die Zeit nach Unterzeichnung des Abkommens. Doch noch immer sind die genauen Voraussetzungen für eine Entsendung der neuen Truppe, ihr Mandat, ihr Oberkommando sowie ihre Finanzierung innerhalb der Allianz wie zwischen den politischen und militärischen Entscheidungsträgern der Führungsnation USA umstritten.
In Washington gibt es in der Frage eines militärischen Engagements in Bosnien weder innerhalb der Clinton-Administration noch zwischen Präsident und Kongreß eine gemeinsame Linie. UNO- Botschafterin Madeleine Albright relativierte letzte Woche frühere Äußerungen ihres Präsidenten, wonach die USA jetzt uneingeschränkt bereit seien, sich an multilateralen UNO-Aktionen zu beteiligen und dabei auch US-Truppen unter UNO-Oberkommando zu stellen. Zwar würden „die USA nicht zögern, zu handeln“, wenn „US-Bürger oder vitale wirtschaftliche Interessen der USA bedroht“ seien, erklärte Albright. Doch zunächst müsse der „Entscheidungsprozeß der UNO bezüglich friedensbewahrender Missionen verändert werden“.
Albrights Äußerungen reflektieren ein in der Administration wie im Kongreß weit verbreitetes Unbehagen über bisherige UNO- Operationen und die US-Beteiligung daran. Der jüngste Angriff auf UNO-Soldaten in Somalia am letzten Samstag, bei dem drei GIs getötet wurden, hat dieses Unbehagen weiter verstärkt. Neben dem UNO-Einsatz in Somalia, für dessen katastrophalen Verlauf die USA und ihre Soldaten erhebliche Verantwortung tragen, wird in Washington vor allem die bisherige Rolle der UNPROFOR in Bosnien-Herzegowina kritisiert. Es sei der UNPROFOR nicht gelungen, die Gebietseroberungen der Serben und ihre Menschenrechtsverstöße zu stoppen.
Nicht mehr ausgeschlossen wird in Washington, daß die Clinton- Administration letzten Endes die 25.000 Soldaten nicht nach Bosnien schicken wird, deren Entsendung sie in den letzten Wochen gegenüber den Nato-Partnern angekündigt hatte unter der Bedingung, daß die Westeuropäer ebenfalls 25.000 Mann aufbringen. Albright nannte eine Reihe von Voraussetzungen, die künftig erfüllt sein müßten, bevor die USA Truppen entsenden. Darunter ein „klar definiertes Ziel“ der Operation, ein Waffenstillstand im Entsendungsgebiet, sowie ausreichende Finanzmittel. Zudem müsse das zeitliche Ende der Operation vorab festgelegt werden.
Das Ziel einer Operation in Bosnien ist bislang lediglich allgemein definiert mit „Umsetzung des Friedensabkommens“ und „Überwachung seiner Einhaltung“. Unter welchen Umständen die 50.000 UNO-Soldaten schießen dürfen, oder ob sie aktiv gegen militärische Einheiten vorgehen sollen, die den Bestimmungen des Bosnien-Abkommens zur Räumung bestimmter Gebiete oder zum Abzug schwerer Waffen nicht nachkommen, ist nach wie vor offen. Das zeitliche Ende der Operation läßt sich nach Überzeugung der meisten Beobachter derzeit unmöglich bereits festlegen. Ein Waffenstillstand an allen bisherigen Fronten in Bosnien wird wahrscheinlich gerade dann nicht eintreten, wenn nicht 72 Stunden nach Unterzeichnung eines Abkommens bereits ein Großteil der neuen UNO- Truppe stationiert ist. Nach jüngsten Aussagen aus Nato-Kreisen ist mit der Entsendung der ersten Verbände jedoch frühestens in vier bis sechs Wochen zu rechnen. Je länger die Zeitspanne zwischen Unterzeichnung des Abkommens und Entsendung der neuen UNO- Truppe, desto größer die Gefahr, daß die Kämpfe weitergehen und eskalieren. Das könnte in Washington zum Vorwand genommen werden, schließlich überhaupt keine Soldaten zu schicken.
Schätzungen über die Kosten der Operation belaufen sich bislang auf über vier Milliarden US- Dollar im ersten Jahr. Die UNO kann dieses Geld nicht aufbringen. Sie steht kurz vor der Pleite, nicht zuletzt weil ihre Mitglieder zum 30. August noch immer mit 1,9 Milliarden Dollar Beitragszahlungen im Rückstand sind, darunter die USA allein mit 779 Millionen Dollar. Generalsekretär Butros Ghali erklärte letzte Woche, die Nato- Staaten müßten jeweils die Entsendung ihre eigenen Kontingente finanzieren. Hiergegen sperren sich vor allem die Briten, die nach den bisherigen Planungen ähnlich wie Frankreich zwichen 7.000 und 8.000 der vorgesehenen 50.000 Soldaten stellen sollen. London argumentiert, die vorgesehene Rotation im Sechsmonats-Rhythmus sowie die Notwendigkeit, ständig eine Reservetruppe in der gleichen Größenordnung der in Bosnien stationerten Verbände in Bereitschaft zu halten, führten dazu, daß Großbritannien insgesamt 24.000 Soldaten für die UNO-Operation aufbieten und finanzieren müsse.
Doch Ghali besteht auf der Finanzierung durch die Nato-Staaten, zumal wenn die westliche Allianz statt seiner das Oberkommando über die UNO-Operation übernimmt. Hierauf insistieren wiederum die USA, die für die Rolle des Oberkommandierenden der neuen UNO-Truppe in Bosnien bereits den derzeitigen Chef des Nato-Kommandos Südosteuropa, einen US-General, vorgesehen haben. Unterstützt werden sie dabei innerhalb der Allianz von den Niederlanden, die etwa 1.000 Soldaten entsenden wollen, sowie von Kanada, Spanien, Belgien und Dänemark, die sich ebenfalls mit kleineren Kontingenten beteiligen wollen. Frankreich und Großbritannien beharren allerdings bislang auf einem UNO-Oberkommando. Es ist davon auszugehen, daß auch Rußland ein UNO-Kommando verlangen wird – falls Moskau überhaupt Truppen entsenden wird. Außenminister Andrej Kosyrew hatte dies Butros Ghali Anfang September in Genf in Aussicht gestellt. Verteidigungsminister Pavel Gratschow bezeichnete eine russische Beteiligung an der UNO-Truppe inzwischen allerdings als höchst unwahrscheinlich. Andreas Zumach
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