: Minister Munoz, die Randale und der tote „Poet“
■ Ein erschossener Student bewegt Venezuela / Destabilisiert der Staat sich selbst?
Caracas (AFP/taz) – Zum drittenmal innerhalb einer Woche kam es am Montag in Venezuelas Hauptstadt Caracas zu Zusammenstößen zwischen Studenten und der Polizei. Ein Lastwagen brannte, vor dem Hauptgebäude der Universität standen sich Studenten und Sicherheitskräfte gegenüber. Die Unruhen hatten am Donnerstag begonnen, als Polizei gegen demonstrierende Studenten und Universitätsangestellte vorging; dabei wurde ein Universitätsangestellter erschossen und wurden 20 Menschen verletzt. Es handelt sich um die ersten gewaltsamen Proteste, seit Übergangspräsident Ramon Velasquez vor rund vier Monaten sein Amt antrat.
Aber sogar in staatlichen Medien wird offen der Verdacht geäußert, daß eingeschleuste Polizeibeamte die Demonstration vom Donnerstag gewalttätig enden lassen sollten.
Begonnen hatte es ganz friedlich: Studenten, Universitätsangestellte und Professoren wollten sich einen höheren Bildungsetat erstreiten; die Ankündigung der Regierung, zusätzliche 175,2 Millionen Dollar bereitzustellen, konnte die erhitzten Gemüter nicht mehr abkühlen. Viele anrollende Busse mit Demonstranten wurden an der Stadtgrenze von Caracas abgefangen.
Die Anweisungen hierzu gab Sicherheitsminister Radamez Munoz, der damit eindeutig seine Amtsbefugnisse überschritt – die öffentliche Ordnung ist Sache des Innenministers. Doch die harte Kritik an seinem Vorgehen, das die Studenten als „provokativ“ bezeichneten, wiegelt Munoz ab: Die Demonstranten in den Bussen hätten „unpassende Parolen“ skandiert, die „vandalische Aktionen“ hätten erwarten lassen. Und nach Provokateuren gefragt, entgegnet der Minister und Vizeadmiral selbstsicher, es könne sich bei den Randalierern ja um Journalisten gehandelt haben.
Die Explosion der studentischen Wut ereignet sich zu einem Zeitpunkt, der dem amtierenden Präsidenten Velasquez höchst ungelegen kommen muß. Die Regierung hat gerade eine Verkaufssteuer eingeführt, die als ihre erste, wirklich unpopuläre Maßnahme zur Bekämpfung des Haushaltsdefizits gilt. Zwei gescheiterte Militärputsche im vergangenen Jahr und anhaltende Gerüchte um einen neuerlichen Staatsstreich nähren die Angst vor einem blutigen Ende der Demokratie. Die Korruptionsprozesse gegen die beiden sozialdemokratischen Ex-Präsidenten Carlos Andrés Pérez und Jaime Lusinchi sind zusätzlicher Sprengstoff. Und am Freitag veröffentlichte die Generalstaatsanwaltschaft einen Bericht, wonach die venezolanische Polizei seit Jahresbeginn mindestens 138 Menschen willkürlich getötet hat. Inmitten dieses Klimas soll das Volk in 72 Tagen über einen Präsidenten und ein neues Parlament bestimmen.
Die linke Oppositionspartei MAS („Bewegung zum Sozialismus“), drittstärkste politische Kraft im Land, hat nun die Staatsanwaltschaft aufgerufen, die verantwortlichen Polizisten zur Rechenschaft zu ziehen. Der Tod des Universitätsangestellten Sergio Rodriguez soll ebenso untersucht werden wie die Verletzungen, die mehrere Journalisten davontrugen. Sicherheitsminister Munoz aber bleibt dabei: Die Zusammenstöße seien durch die Explosion eines selbstgebastelten Molotow- cocktails ausgelöst worden; der getötete Uni-Angestellte sei zudem Mitglied einer „kommunistischen Zelle“ gewesen und erst zwei Wochen zuvor aus Kuba eingereist. Die Frau des Toten hingegen schwört, daß ihr Mann „ein Poet des Lebens, ein Träumer“ war. Zweifel an der Person des Ministers scheinen eher angebracht: Schon Tage vor der Demonstration hatte sich Munoz an den Rektor des Universitätsrats gewandt und verlangt, daß der eine Verpflichtung unterschreiben solle, für alle bei den Protesten entstehenden Schäden aufzukommen.
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