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Wenn Afrikaner an ihrer Zukunft zweifeln

■ Wachsendes politisches Mißtrauen in Guinea führt zu Protesten mit Todesfolge

Berlin (taz) – Im westafrikanischen Guinea sind am Montag bei der Auflösung einer Demonstration von Oppositionsparteien durch die Polizei zwei Menschen getötet und Dutzende verletzt worden. Wie ein Sprecher der oppositionellen „Partei für Erneuerung und Fortschritt“ (PRP) der taz sagte, waren in der Hauptstadt Conakry 30.000 Menschen auf die Straße gegangen; sie forderten die Einsetzung einer Allparteienregierung für die Vorbereitung der ersten freien Präsidentschaftswahl, die am 5. Dezember stattfinden soll. „Wir wollen eine Übergangsregierung“, sagte PRP-Vertreter Balde. „Wir trauen der jetzigen Regierung nicht.“

Die jetzige Regierung – das ist General Lansana Conte, der seit dem Tod des berüchtigten Diktators Sekou Toure im Jahre 1985 Guinea regiert. Conte ließ erst vor wenigen Jahren politische Parteien zu; ein gewähltes Parlament gibt es nicht, weswegen sich die Parteien machtlos fühlen. 1991 versprach Conte Parlamentswahlen, aber diese wurden mehrmals verschoben, offiziell aus Geldmangel. Im April erklärte Conte schließlich, vor den Parlamentswahlen werde zuerst ein neuer Präsident gewählt – am 5. Dezember. Die Opposition sieht darin ein Manöver Contes, eine „Kohabitation“ mit einem Parlament zu vermeiden, und fürchtet Wahlbetrug. „Das Abhalten von Parlamentswahlen vor Präsidentschaftswahlen hätte dazu beigetragen, die Atmosphäre im Land zu entspannen“, erklärte PRP-Führer Siradiou Diallo, der selber Präsident werden will. „Ein Präsident muß wissen, daß er Rechenschaft abzulegen und Erklärungen abzugeben hat“.

Daß das Mißtrauen zwischen Regierung und Parteien in Guinea sehr groß ist, zeigte sich unlängst auch bei einer Tagung zum Thema „Demokratie und Entwicklung in Westafrika“ in Bad Boll, auf der Vertreter beider Seiten anwesend waren. „Wir haben 43 Parteien, die 43 Lieder singen“, kritisierte Yvonne Conde, Mitglied des regierenden Übergangsrates von Guinea; oft von Exilanten gegründet, seien sie „Hefe“ im politischen System, könnten aber leicht „schockieren“. Wichtiger für die Entwicklung wäre Dezentralisierung und die Nutzung der in den Zeiten der Diktatur unterdrückten traditionellen Dorfstrukturen: „Die Tradition ist unsere Nahrung, unser Salz“. Vertreter von Parteien stimmten dem im Prinzip zu, verwiesen aber darauf, daß zur Dorftradition gerade auch offener Dialog gehöre, den die Regierung Guineas scheue.

Eine Sorge teilten alle Seiten: Die Vertrauenskrise könnte dazu führen, daß die Wahlen vom 5. Dezember zu keinem allseits anerkannten Ergebnis führen und dann Bürgerkrieg wie im benachbarten Liberia herrscht. Daß in Guinea – das viele Flüchtlinge aus Liberia beherbergt und Soldaten dorthin entsandt hat – leicht Gewalt ausbricht, haben nicht nur die letzten Tage gezeigt. Immer wieder kommt es zu mysteriösen Todesfällen in Polizeihaft; in einer Zeitung war kürzlich von einem Rechtsanwalt zu lesen, der zufällig auf dem Gelände eines Radiosenders neun fast erstickte Gefangene in einem mit Wellblech bedeckten Erdloch fand. Aufsehen erregte im August auch der Fall des bekannten Geschäftsmannes Almamy Kourouma, dessen bestialisch zugerichtete Leiche in Conakry auf der Straße gefunden wurde, nachdem Polizisten ihn wegen des Mordes an einem Reishändler zum Verhör einbestellt hatten. Die offizielle Todesursache: Elektroschocks in die Genitalien. Mehrere Polizeieinheiten beschuldigten sich gegenseitig der Tat, und die Wochenzeitung L'Indépendant beunruhigte sich in einem Leitartikel über „die Entwicklung einer Mentalität der Gesetzlosigkeit, die sich aus Straffreiheit nährt“. So wachsen im Land selbst Zweifel an der demokratischen Zukunft Guineas, dessen Opposition jetzt weitere Protestmaßnahmen vorbereitet. Dominic Johnson

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