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Nachschlag

■ „Thomas Chatterton“ – Letzte Premiere am Schloßparktheater

Bristol im 18. Jahrhundert: „Du scheinst aus lauter Tod gemacht“, sagt die Mutter am Anfang zu ihrem 15jährigen Sohn. Tatsächlich hängt der Halbwaise Thomas Chatterton nicht gerade am Leben. Besessen von den Stimmen der Toten, bringt er deren Geschichten zu Papier und verkauft sie als historische Handschriften, die er gefunden habe. Er schlafwandelt auf dem Friedhof, trägt Gift in der Tasche und verlangt von seinem Freund und Bettgespielen eine Pistole. Umgetrieben von seiner einzig wirklichen Leidenschaft, dem Schreiben, tritt er stolz und kompromißlos auf und weiß nicht, auf welch schmalem Grat er balanciert: mit dem Ohr im Jenseits und mit den Füßen nicht ganz auf dem Boden der Realität. Denn als er seinen wohlhabenden Kunden offenbart, daß er, Chatterton, der Verfasser jener bewunderten Verse sei, glaubt man dem Schreiberlehrling nicht.

Chatterton versucht sein Glück in London, jetzt den Erfolg suchend, woraufhin ihn die Inspiration verläßt. Am Ende trinkt er, halbverhungert, das Gift. Da erst bricht sein Stolz. Krämpfe zerreißen ihm die Eingeweide, und er schreit: „Wer hat diese Schmerzen gemacht? Wer ist verantwortlich?“

Hans Henny Jahn verfaßte dieses mystische und selten gespielte Genie-Drama vor knapp 40 Jahren. Zeigt er, wie der junge Chatterton seinem ersehnten Tod entgegenstürzt oder wie ein Künstler seines Standes wegen verkannt und in den Tod getrieben wird? Michael Gruner, der das Stück vor 16 Jahren schon einmal in Düsseldorf inszenierte, trifft in seiner Aufführung im Schloßparktheater keine Entscheidung. Ludger Haninger in der Rolle des Chatterton ist ebenso Opfer wie Täter, die Gesellschaft der Geldsäcke ebenso kalt wie sympathisch skurril.

Im Halbdunkel vollzieht sich bei Gruner die Leidensgeschichte, hell ist nur eine Lichtbahn, die durch eine Türöffnung im Hintergrund auf die schwarze Spielfläche (Bühne: Bernd Schwendel) fließt. Aburiel kommt auf ihr herein, als Chatterton im Todeskampf liegt. Aburiel, der Engel, der dem Jungen das Ohr öffnete für die Klagen und Gesänge der Toten. Aburiel, der Moralist, der ihn vor falschem Ehrgeiz warnte. Jetzt ist er ein Begleiter aus der Welt. Gerd David spielt ihn alterslos und schrullig, mit leiser Selbstironie und schwimmenden Bewegungen.

Gruner hat einen Ton gefunden, der dem Mystischen Leichtigkeit verleiht: Wie Filmeinstellungen wechseln die Szenen schnell und rhythmisch. Mal ertönt Möwengeschrei, mal bricht der Lustknabe William (Stephan Kampwirth) in ein irres Lachen aus, und als Aburiel Thomas ins Jenseits schauen läßt, sieht man die Toten im Hintergrund einen Augenblick posieren – prunkvoll und staubig, wie die Bücher, in denen ihre Namen stehen.

Möglich wird diese Geschichte hier durch Ludger Haninger. Er ist das junge Genie, mit allem Narzißmus und manchmal grausamem Hochmut, der dazugehört. Blaß, schmal, mit braunem Zopf, Lederwams und -hose oder im Gewande des Bohemiens (Kostüme: Gabriele Sterz), strahlt er eine selbstverständliche androgyne Erotik aus, die es nicht lächerlich wirken läßt, daß Williams Bruder Peter (ebenfalls Stephan Kampwirth) lieber stirbt, als ihn nicht mehr zu treffen. Immer wieder wird Thomas schuldig an denen, die ihn lieben, da er sie gebraucht wie Puppen. Aber vor denen, die vom äußeren Rang her über ihm stehen, beugt er den Kopf – stolz zwar, aber er beugt ihn.

Es war die letzte Premiere im Schloßparktheater, die am Mittwoch abend begeistert aufgenommen wurde. Am 2. 10. ist das Stück noch einmal zu sehen. Dann fällt der letzte Vorhang. Petra Kohse

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