: „Wir werden uns nicht irre machen lassen“
■ Diepgen sucht Schuldigen für die Olympiapleite, SPD und Opposition suchen das Normalmaß / Debatte im Parlament
Angesichts der Ungewißheit über den Standort Berlin, die Rolle der Stadt nach der verpatzten Olympia-Bewerbung und vor einem möglichen Scheitern des Regierungsumzuges, zeigen die politisch Verantwortlichen allmählich Nerven. „Wir werden uns nicht irre machen lassen durch die unsinnigen Diskussionen irgendwo im Westen“, erklärte der Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU). Dieser Appell, auf die neuerliche Umzugsdebatte in Bonn gemünzt, an die Berlinerinnen und Berliner gerichtet, in der gestrigen Sitzung des Abgeordnetenhauses gesprochen und von seiner eigenen Fraktion dankbar und mit Applaus aufgenommen, war ein Ruf nach Geschlossenheit in einer Situation, in der er sich der Festigkeit der hinter ihm stehenden Reihen nicht mehr sicher ist. „Zwischen den Olympischen Spielen und dem Regierungsumzug gab und gibt es keinen logischen und inhaltlichen Zusammenhang“, betonte Diepgen und verdrängte, daß der Zusammenhang in seiner Person gegeben ist, daß seine Politik im starken Maße auf diese beiden Großprojekte ausgerichtet war und ist, weshalb auch die Grünen-Politikerin Michaele Schreyer wie auch der PDS- Abgeordnete Harald Wolf forderten, daß „der Doppel-Loser Diepgen für Berlin nicht mehr haltbar ist“, er seinen „politischen Konkurs“ anmelden könne, sollte er in der Umzugsdebatte seine zweite Pleite erleben.
Diepgens Dilemma ist, daß er auf diese Debatte kaum noch Einfluß hat und seine geringen Einwirkungsmöglichkeiten auch nicht dadurch vergrößert, daß er zum wiederholten Male auf die Bedeutung des Regierungsumzuges für „den schnellen Wirtschaftsaufschwung in der ganzen Region und für das Zusammenwachsen der Teile Deutschlands“ verweist. Diese Argumente wirkten nur noch, wenn sie nicht allein von Berlin vorgebracht würden. „Was Berlin zugute kommt, nützt Deutschland“, solch ein Argument ist von einer Selbstüberheblichkeit, die nur noch von der Forderung des CDU- Abgeordneten Manfred Preuss übertroffen wird, daß die Freunde Deutschlands in der Welt, „wo sich Deutschland seit langem engagiert“, bei der Olympia-Bewerbung „eine Gegenleistung“ hätten erbringen sollen.
Zu dieser egozentrisch larmoyanten Haltung des Koalitionspartners, der das Scheitern der Bewerbung der „nahezu selbstzerstörerischen Berichterstattung“ der Medien und den „kriminellen Gewalttaten im Vorfeld“ zuschrieb, ging der SPD-Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt deutlich auf Distanz, als er gegen „die Grundeinstellung der Selbstüberschätzung Berlins“ wetterte. Die Stadt sei keine Besonderheit in der Welt mehr. Als er forderte, sich bei der Hauptstadtdebatte nicht nur auf die „schnöden Fragen des Haushalts“ zu kaprizieren und „abseits von Olympia und Regierungsumzug“ eine Strategie für die Attraktivität Berlins zu entwickeln, lag der SPD-Chef politisch näher bei der Opposition als beim Regierungspartner. Dieter Rulff
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