: Den Status der anderen Kultur betonen
Ein Gespräch mit der Münchner Wissenschaftlerin Michaela Ulich über den wenig kreativen Umgang mit Ausländerthemen in deutschen Schulen und die fehlende multikulturelle Tradition ■ Von Franco Foraci
taz: In fast jeder deutschen Großstadt sind die Kindergärten und Schulen zu 40 bis 60 Prozent, in manchen Gegenden sogar zu 80 Prozent mit ausländischen Jungen und Mädchen belegt. Die Unterrichtsformen haben sich in den letzten 15 Jahren aber kaum verändert. Multikulturelle Ansätze im Unterricht sind immer noch eine Seltenheit. Warum ist es noch immer nicht selbstverständlich, daß diese Art von Erziehung in den Schulplänen Eingang findet?
Michaela Ulich: Ich denke, weil wir keine Tradition im multikulturellen Denken in Deutschland haben. Wir haben uns nie als Einwanderungsland begriffen, obwohl wir das schon sehr lange faktisch sind – und zwar nicht erst seit der sogenannten Gastarbeiterwelle. Dieses Verständnis schlägt sich natürlich auch in den deutschen Lehrplänen nieder. Es ist auch so, daß das hiesige Schulsystem ein sehr geschlossenes ist. Sie haben eine lineare Lehrerlaufbahn. Es gibt sehr wenig Seiteneinsteiger, sehr wenig Öffnung zum Gemeinwesen hin. Für ein solches multikulturelles Unterrichtskonzept müßte man ja unbedingt Ausländer der jeweiligen Ethnien auch mit heranziehen. Wenn die aber nicht genau das entsprechende Staatsexamen haben, geht das schon nicht in der Schule. Also da müßte man viel flexibler und offener mit Unterrichtsformen umgehen.
Warum tun sich die Ausbildungsstätten unserer Lehrer, die Unis mit multikulturellen Unterrichtskonzepten so schwer?
Interkulturelle Erziehung ist nicht zwingender Bestandteil der Ausbildung, es bleibt ein Aufbaustudiengang. Das ist ja auch ein Symptom für „Extra“. Also man hat hier eine Gruppe, die gesondert gefördert werden muß, die ein gesondertes pädagogisches Problem darstellt. Es ist nicht die Forderung da, daß man ein pädagogisches Konzept entwickelt, das generell mit national gemischten Gruppen umgeht.
In Ihrem Staatsinstitut für Frühpädagogik und Familienforschung in München spielt die interkulturelle Erziehung eine große Rolle. Sie entwickeln mehrsprachige Spielbücher wie „Der Fuchs geht um ... auch anderswo“, erarbeiten Ton- und Videokassetten mit Geschichten aus den Ursprungsländern der meisten Emigrantenkinder. Wie machen Sie den Kindern die Wertschätzung und Präsenz anderer Kulturen erfahrbar?
Da gibt es verschiedene Wege, um sie anzusprechen. Man kann dafür ausländische Bezugspersonen (LehrerInnen, KindergärtnerInnen usw.) wählen, die symbolisch die anderen Kulturen repräsentieren. Denn nur mit ausländischen Altersgenossen zusammenzusein, das genügt nicht für Kinder. Die Rassismusforschung sagt klar, sie müssen auch mitbekommen, daß die andere Kultur einen Status hat. Wir versuchen, Kulturaustausch zu etwas Selbstverständlichem zu machen in Form von Spielen, Liedern, Geschichten auf der Basis von Kinderliteratur aus verschiedenen Ländern. Den Kindern wird so erfahrbar gemacht, daß es beispielsweise aus der Türkei auch schöne Märchen gibt. Wichtig ist, daß wir damit von dieser Fixierung der Pädagogen und Kinder auf das „Problem“ Ausländer wegkommen. Wenn Pädagogen in dieser Frage bedrohungsorientiert arbeiten, können sie das kulturelle und sprachliche Potential der ausländischen Kinder nicht aktivieren und begreifen es auch nicht als Chance für die deutschen Kinder. Diese fehlende Kreativität in einer der wichtigsten kulturellen Schaltstellen ist fatal.
Wie zugänglich sind denn die verantwortlichen Schulbehörden der Länder und Städte für interkulturelle Unterrichtsformen?
Zur Zeit gibt es Bestrebungen, die Lehrpläne so zu überarbeiten, daß interkulturelle Erziehung zu einem fachübergreifenden Prinzip wird. Für Kindergarten und Grundschulen ist man mittlerweile einigermaßen aufgeschlossen. Ein Stiefkind aber bleibt das Gymnasium. Da hört man das Argument „da sind ja kaum ausländische Kinder“. Als ginge die interkulturelle Erziehung die deutschen Kinder nichts an!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen