■ Bundestag beschließt Lohnkürzung an Feiertagen: Die liebenden Eltern
Der Bundestag hat die Lohnkürzung an Feiertagen beschlossen, um damit teilweise die Pflegeversicherung zu finanzieren. Nach dem neuen Gesetz müssen die Arbeitnehmer entweder rein rechnerisch zwei Tage im Jahr auf ihren Lohn oder auf zwei Urlaubstage verzichten. Außerdem wird – wenn das Pflegegesetz durchkommt – noch ein prozentualer Anteil von 0,85 Prozent am Bruttoeinkommen einbehalten. Beide Einkommenseinbußen der Arbeitnehmer wandern in den Fonds für die Pflegeversicherung. Einzig und allein die Lohnkürzung an Feiertagen braucht keine Zustimmung des Bundesrates, ist also jetzt schon beschlossene Sache.
Diese Meldung klingt erst mal sensationeller als sie tatsächlich ist. Denn kommt das Pflegegesetz nicht durch, soll auch die Lohnkürzung an Feiertagen wieder eingestampft werden. Vieles deutet daraufhin – trotzdem aber läutet der Beschluß eine neue politische Phase ein. Denn mit dem Finanzierungsmodell werden die Bürger auf selten zuvor dagewesene Weise entmündigt. Das fing schon mit der politischen Präsentation an: So sprach Sozialminister Norbert Blüm noch allen Ernstes von einer paritätischen Finanzierung, wo es doch nur darum ging, Schlupflöcher zu finden, um den Arbeitnehmern die finanzielle Last allein aufzuhalsen. Selten wurden Wähler für so blöde verkauft. Und selten auch hat es einen Entwurf gegeben, der einerseits so stark gesellschaftliche Humanität verspricht – wir wollen nur das Beste für euch, wenn ihr mal alt seid – und andererseits den Beschäftigten so dummdreist materielle Verschlechterungen aufzwingt. Der Staat als „liebende Eltern“, die bevormunden und erzwingen. Mit dem herkömmlichen paritätischen Sozialversicherungsmodell hat die Finanzierung jedenfalls nichts mehr zu tun. Vielmehr werden die Beiträge hier ähnlich aufgebracht wie bei einer privaten Versicherung – nämlich nur durch die Mitglieder selbst. Mit dem kleinen Unterschied, daß private Versicherungen freiwillig sind. Die Pflegeversicherung aber ist Pflicht für die Arbeitnehmer. Weniger Staat, mehr Marktwirtschaft heißt eine der Devisen der CDU/FDP-Koalition. Mit der Lohnkürzung an Feiertagen greift der Staat aber in die Besitzstände seiner Bürger ein wie nie zuvor. Barbara Dribbusch
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