: Die Schwerelosigkeit im Fall
■ Kultur im Fallturm: Die Bremer „opera piccola“ fing schon mal an
Es gibt keine Zuflucht mehr vor der Kultur. Flugzeughangare, Fußgängerunterführungen, Friedhofskapellen und Fahrkartenschalterhallen sind als Stätten allen erdenklichen Stattfindens längst erschlossen - wem also mochte es einfallen, endlich auch den Fallturm zu bespielen? Es war in unverhoffter Kühnheit der „Kaufmännische Verein Union von 1801“. Seine neue Reihe „Kultur im Fallturm“ oder jedenfalls in dessen Allzweckfoyer wurde am Samstag eröffnet von der ganz ähnlich heldenhaften „opera piccola“ unter der Gesamtleitung Petrus von Herbersteins.
Und man muß sagen: Es hätte schon schlimmer kommen können. Benjamin Brittens Kammeroper „The Turn of the Screw“ erzählt das Drama zweier Kinder, welche leider nicht nach Kinderbrauch glücklich, sondern von einer unsagbaren Vorgeschichte angekränkelt sind, wie sich uns nach und nach aufs Herzwürgendste offenbart. Freilich fehlt auch hier nicht der Trost der Kunst: Die Oper ist gesegnet mit unbezwinglich schönen Einfällen.
Immer wieder zerstreut Britten sehr pfiffig, was er vorher an finstren Wolken aufgetürmt hat; und das blutjunge Orchester war sehr dankbar dafür, denn das umstandslose Zerstreuen fiel ihm viel leichter als das ausgetüftelte Dräuen vorher. Im Zweifelsfall konnte man einmal erleben, was alles zu laut und zu leise sein kann; meistens gewann das Klavier.
Nein, es gab auch gelungene Momente. Es sangen recht treffliche Sängerinnen, teilweise sogar der Gabe tiefen Ausdrucks teilhaftig, namentlich Karen Eisenhauer als Gouvernante. Es sangen aber auch Sängerinnen von sehr geringem Talent, welche mit umso größerer Tapferkeit ihre Töne verfehlten, daß Gott erbarm.
Eine abenteuerliche Mischung also aus Kunst und Ach und Krach. Das Publikum der Kaufmannschaft von 1801 aber klatschte dankbar, wohl von dem Glauben gestärkt, was falsch klinge, sei wenigstens garantiert modern. Und das war am Ende das eigentlich Beglückende. schak
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