„Die CDU ist eine wortlose Partei“

■ Auch in Berlin erwägen CDU-Dissidenten die Gründung einer unabhängigen Wählerinitiative zu den nächsten Wahlen / Kontakte mit Hamburger „Statt Partei“

Die Mitgliedervermehrung der Hermsdorfer CDU könnte eigentlich jeden Parteivorsitzenden mit Freude erfüllen. 50 Neueintritte wurden innerhalb des letzten Jahres registriert, ein Zuwachs um rund ein Viertel. Doch was auf den ersten Blick den Eindruck eines vitalen Parteilebens vermittelt, ist für Burkhard Willimsky Resultat einer „besonders klüngelhaften“ Politik, die auf dem Boden der Reinickendorfer CDU gedeiht.

Willimsky spricht aus Erfahrung, er war jahrelang für diesen Bezirksverband aktiv und hatte einen Stadtratsposten inne, bis er im März diesen Jahres enttäuscht seine Ämter niederlegte und sein Parteibuch zurückgab. Was Willimsky als „reinste Manipulation“ charakterisiert, führte letzte Woche zum Austritt einer Reihe von CDU-Mitgliedern aus dem Hermsdorfer Ortsverband, darunter die drei Bezirksverordneten Uta Gehrhardt, Manfred Engelke und Michael Thieme.

Über Monate hinweg waren aus anderen Ortsgruppen Parteigänger des Reinickendorfer CDU- Sprechers Frank Steffel in den als liberal und kritisch geltenden Hermsdorfer Ortsverband gewechselt. Steffel, mit seinen 27 Jahren bereits zum Mitglied des Landesvorstandes der CDU avanciert und mit einem Platz auf der Hinterbank des Abgeordnetenhaus bedacht, gilt hinter dem Bezirksvorsitzenden Diethard Schütze als der Strippenzieher, wenn in der Reinickendorfer CDU Posten und Positionen zu besetzen sind. Ihm wurde auch von Parteifreunden vorgeworfen, im Sommer letzten Jahres bei den Bezirksamtswahlen Absprachen mit den „Republikanern“ mitinitiiert zu haben.

Engelke beobachtet seit November 1992, wie Steffels Jung- Unionisten aus anderen Kreisen nach Hermsdorf delegiert wurden und dort ihr Stimmrecht wahrnahmen, obgleich ein solches Vorgehen mit der Satzung kaum in Einklang zu bringen ist. Protegiert wurden sie dabei vom Kreisvorstand, dem neben Schütze auch die Abgeordneten und JU-Altvorderen Andreas Gram und Roland Gewalt angehören. In vierzehn Fällen wurde wegen dieser obskuren Praxis das Schiedsgericht angerufen, auch der Landesvorstand wurde mehrmals angesprochen. Der mochte jedoch keine schweren Verstöße gegen die Satzung erkennen. Er wollte sich, so Engelkes Mutmaßung, „keine Beule holen“, und sich nicht mit dem mächtigen Bezirksverband im Norden anlegen. Als es letzte Woche zu dem Hermsdorfer Showdown kam, war die ganze Seilschaft zugegen, hernach gab es einen fröhlichen Umtrunk in der Kneipe nebenan.

Engelke findet es nach wie vor ein Phänomen, daß die Reinickendorfer Vorgänge parteiintern kaum angesprochen wurden, die CDU sei eine „wortlose Partei“. Sie wird allerdings viel zu reden haben, sollten Engelke und die übrigen Ausgetretenen ihr Vorhaben wahrmachen und als unabhängige Wählergemeinschaft bei den Abgeordnetenhauswahlen antreten. Willimsky vermutet, daß Unmut auch in anderen Kreisverbänden der CDU vorhanden ist. Die Dissidenten haben bereits „diverse Sympathiebekundungen“ auf ihren Schritt hin erhalten, auch aus den Reihen der Abgeordnetenhausfraktion der CDU. Nach Engelkes Einschätzung seien viele, auch aus der SPD und der FDP, daran interessiert, sich „außerhalb gewachsener Parteistrukturen“ zu engagieren.

Mit der Hamburger „Statt Partei“ wurde bereits Kontakt aufgenommen und Material angefordert. Doch vermißt Thieme bei der hanseatischen Wählergemeinschaft das programmatische Profil. Ein reines Oppositionsbündnis schwebt den Berlinern nicht vor, sie wollen eine Politik für die „bürgerliche Mitte“ machen. Sie warten nun erst mal ab, auf welche Resonanz ihre Initiative in den nächsten Wochen stößt. Einer Wirkung ist sich Engelke allerdings bereits jetzt sicher: Ihr Schritt werde auf dem Landesparteitag der CDU im November Thema sein. Dieter Rulff