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Ein Auge für auffällige Kunden

■ Hausdetektive lassen sich ungern in die Karten sehen / "Die Oma, die Wurst klaut, interessiert uns nicht" / Vorlieben der Ladendiebe wechseln je nach Saison

Der junge Mann bleibt ganz ruhig, streitet alles ab: „Die Hemden lagen auf dem Boden. Ich wollte sie abgeben, aber ich kann ja nicht tragen!“ Dabei zeigt er auf seine Krücken. Warum er die beiden Tennistrikots unter die Jacke gesteckt hat, kann er damit erklären. Doch wieso er sie nicht der nächsten Kassiererin in die Hand gedrückt hat, sondern die Hemden drei Stockwerke tiefer im Erdgeschoß immer noch bei sich trug, dafür hat er keine vernünftige Begründung.

Für Hausdetektiv Gerald Franke (Name von der Redaktion geändert) und seinen Kollegen im Kaufhof am Alexanderplatz ist die Sache klar: Sie rufen die Polizei an, zehn Minuten später kommen zwei Beamte und nehmen die Personalien auf. So, sagt Franke, sehe der Alltag der Hausdetektive aus: „An guten Tagen wiederholt sich das bis zu dreißigmal, an schlechten erwischen wir nur fünf. Und das ist nur ein ganz geringer Bruchteil der Straftäter.“ Letzteres schränkt er dann aber wieder ein: „Rund zwanzig Prozent der Diebe kriegen wir.“

Wieviel Aufpasser mit ihm zusammen Dienst tun, will Franke nicht verraten, aber es seien „genug“. Eine an der Wand hängende Liste mit den Geburtstagen der Detektei-Mitarbeiter ist jedenfalls recht umfangreich.

Die Kaufhof-Filiale am Alex wird von der zuständigen Polizei nur noch „Klauhof“ genannt. Laut Franke beschäftigt sich eine Sondergruppe der Polizei mit den Straftaten, die im einstigen DDR- Vorzeige-Warenhaus Centrum entdeckt werden. Besonders zu schaffen machen den Detektiven die Profis, die gezielt und auf Bestellung klauen, da diese vor allem auf die teuren Artikel aus sind. Franke: „Uns interessiert doch weniger die Oma, die Wurst klaut. Aber ein geklauter Computer oder die Lederjacke für 498 Mark, das sind doch ganz schöne Werte.“

Wie auch die gefangen werden können, darüber schweigt sich Franke aus: „Über unsere Arbeitsmethoden kann ich nichts weiter sagen.“ Einiges erzählt er beim Rundgang durchs Kaufhaus aber doch: Jeder, der sich im Haus anders verhalte als ein „normaler Kunde“, sei verdächtig und werde beobachtet. Dazu gehören zum Beispiel Kunden, die auffällig lange mit Ware in der Hand durchs Haus laufen. Oder auch schäbig angezogene Leute, die bei den 1.000-Mark-Anzügen rumstöbern. O-Ton Franke beim Blick auf einen Mann, der sich ein paar Schuhe ansieht: „Das ist schon verdächtig, daß der zerrissene Schuhe anhat und ein Modell für 200 probiert.“

Von selbst kommt Franke auf die Täter zu sprechen: Was immer wieder genannt wird, bestätigt auch der Detektiv: „alle Schichten“ greifen zu. Doch dann wird Franke genauer: „Frauen und Jugendliche klauen viel. Daß Ausländer mehr als Deutsche klauen, kann ich nicht bestätigen.“ Besonders beliebt sind bei den Dieben nach Frankes Auskunft CDs, Sportartikel, Lebensmittel und Spirituosen. Im Laufe des Jahres wechseln die favorisierten Abteilungen: im Frühjahr Sportsachen, im Herbst lange Mäntel, im Winter Skihandschuhe. Franke und seine Kollegen beobachten dann dort verstärkt. „Geklaut wird aber eigentlich überall“, sagt der Dreißigjährige und zeigt auf die übervollen Regale, „doch das lädt ja förmlich dazu ein.“ Martin Böttcher

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