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Bier ohne Grenzen

■ Überreichweiten bei der Werbung

Ein polnischer Familienvater hat sich nach seinem harten Arbeitstag in seinen Sessel zurückgelehnt, um sich im Fernsehen dank seiner Satellitenschüssel das Programm eines deutschen Privatsenders anzusehen. Die Bierwerbung gefällt ihm. Am nächsten Tag kauft er sich entgegen seiner Gewohnheit nicht das heimische „Zywiec“, sondern eine deutsche Marke. Ein solches Verbraucherverhalten wird zwar nicht immer, aber immer öfter an der Tagesordnung sein. Weil die Sender über Satellit europaweite Verbreitung suchen, greift auch die Werbung über die Grenzen. Fachkreise nennen das Overspill. Während aber die Fernsehanbieter für ihre größere Reichweite Filmrechte neu und teuer erwerben müssen, bleiben die Preise, die die werbende Wirtschaft für ihre Sendezeit zahlen muß, die alten. Überreichweiten werden nicht berücksichtigt. Dabei werden mittlerweile (zweites Quartal 1993) 28 Millionen ausländische Haushalte mit den deutschen Fernsehprogrammen versorgt, die über die Astra-Satelliten abgestrahlt werden.

Doch die werbende Wirtschaft will von der Wirksamkeit der Spots im europäischen Ausland, wo nicht Deutsch gesprochen wird, nichts wissen. „Die deutschen Werbepreise sind im internationalen Vergleich ohnehin zu hoch“, sagt ein Marketingexperte eines großen internationalen Getränkeproduzenten. „Wenn drei Leute im Ausland unsere Werbung noch sehen, zahlen wir nicht 50 Prozent mehr.“

Die Preise seien oben angekommen, betonen auch andere Werber aus der Wirtschaft. In Deutschland kosten 30 Sekunden Reklame in der „Prime Time“ um 20 Uhr bis 100 000 Mark. Selbst ein Sprecher der Münchner MedienGruppe (MGM), die für Pro 7 und den Kabelkanal Werbespots beschafft, räumt ein, daß der Overspill-Effekt im Grunde nur ein Bonbon für die Kundschaft sei.

Während die Werbewirkung per Overspill im Getränkebereich, bei Sportkleidung und für Unterhaltungselektronik noch relativ einfach zu erzielen ist, gestaltet sich auf anderen Sektoren europaweite Werbung kompliziert. Überreichweiten können da sogar zum Bumerang werden. Identische Schokoriegel haben international verschiedene Namen; Mißverständnisse schaden da nur.

Auch die Zielgruppen in den verschiedenen Ländern unterscheiden sich. Die Schokolade eines fernsehwerbenden Süßwarenherstellers ist überall begehrt. „Aber Werbung für unseren Joghurt-Riegel kommt in der Türkei nicht an“, weiß ein Mitarbeiter der Firma. „Dort wird Joghurt nur im Zusammenhang mit herzhaften Mahlzeiten verzehrt.“ dpa

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