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Beschuldigung gegen Beschuldigung

■ Bosnische Armee entdeckt Massengrab bei Mostar

Split (taz) – Südlich von Mostar ist nach Angaben eines Sprechers der Bosnischen Armee ein Massengrab gefunden worden. 567 Leichen sollen sich in diesem Massengrab befinden. Nach Angaben des Sprechers hätten Flüchtlinge beobachtet, wie die Leichen von Einheiten des Kroatischen Verteidigungsrates (HVO) verscharrt worden sind. Veso Vegar, der Pressesprecher der HVO in Mostar, bezeichnete die Angaben der bosnischen Seite als „Lügen“. Er beschuldigte sie, in dem von der bosnischen Armee kontrollierten Gebiet 8.000 kroatische Gefangene in Gefängnissen zu halten. Auf der linken Seite der Neretva, die ebenfalls von bosnisch-muslimanischen Kräften kontrolliert wird, seien 300 kroatische Zivilisten und 168 kroatische Soldaten unter unwürdigen Umständen in der Volksschule und im ehemaligen Finanzamt festgehalten.

Da offenbar noch keine internationalen Beobachter das Massengrab besuchen konnten, steht so Behauptung gegen Behauptung. Die Existenz von Massengräbern kann jedoch auf dem Hintergrund der Ereignisse in dem Gebiet südlich von Mostar, in der Region Čapljina und in der Region um Stolac, nicht ausgeschlossen werden. Erst am Freitag vor einer Woche berichtete ein Informant aus dem von Kroaten geführten Gefangenenlager Gabela, das südlich der Stadt Čapljina etwa dreißig Kilometer entfernt von Mostar liegt, fünfundzwanzig muslimanische Bauern seien in dem Lager ermordet worden. Die Gefangenen wurden nach diesen Angaben schon außerhalb des Lagers geschlagen und mit Messern im Bauchbereich schwer verletzt. Auf die blutenden Gestalten sei dann vom Wachpersonal noch eingeschlagen worden.

Der Informant berichtete ferner, achtzehn Holzsärge seien mittels eines Lastwagens aus dem Lager wegtransportiert worden und etwa vierzig Minuten später wieder ins Lager zurück gebracht worden. Der Informant schloß daraus, daß in der Region Čapljina ein Massengrab existieren müßte. Allerdings braucht es sich nicht um dasselbe zu handeln, von dem der Sprecher der bosnischen Armee berichtete.

Seitdem in Mostar über 300 muslimanische Soldaten, die in den kroatischen Streitkräften HVO gekämpft hatten, Ende Juni zur bosnischen Armee übergelaufen waren, wurden mehr als 2.000 Muslimanen aus den Reihen der HVO verhaftet und in die Lager Dretelj und Gabala – beide in der Nähe der Stadt Čapljina – gebracht. Vor wenigen Wochen wurden nach internationalen Presseveröffentlichungen und nach einem Protest des kroatischen Präsidenten Tudjman, der von den örtlichen Behörden die Auflösung der Lager forderte, 516 Gefangene auf eine Insel vor der dalmatinischen Küste gebracht. Die Gefangenen waren völlig entkräftet und zeigten Symptome von Mangelernährung. Das Lager Dretelj soll inzwischen geschlossen worden sein, im Lager Gabela jedoch befinden sich nach Angaben des oben angeführten Informanten noch über 1.500 Gefangene.

Über das Schicksal vieler Menschen aus der Region Stolac, die ehemals eine muslimanische Bevölkerungsmehrheit hatte, herrscht Ungewißheit. Die Mehrheit der ehemals 8.000 Muslimanen der Stadt Čapljina haben diese inzwischen verlassen oder wurden vertrieben, die Bewohner des muslimanischen Dorfes Gradska sollen sich nach Angaben der Behörden von Ljubuski im Ausland aufhalten. Es halten sich jedoch hartnäckig Gerüchte, denen zufolge eine nicht abschätzbare Zahl von Menschen verschwunden sei.

Der Franziskanermönch Frater Michael aus Čapljina wertete das Verbrechen an den fünfundzwanzig Bauern als Racheakt, da nach seinen Angaben am 13. September ebenfalls in der Nähe der Stadt vierzehn Kroaten von Muslimanen ermordet worden sein sollen.

Unterdessen gehen die Kämpfe nördlich von Mostar unvermindert weiter. Besonders heftig umkämpft wird seit 20 Tagen das Dorf Vrdi, das strategisch eine große Bedeutung hat. Fiele das Dorf, könnte die Bosnische Armee den kroatisch gehaltenen Teil Mostars umklammern und dann möglicherweiswe die Stadt nehmen. Erich Rathfelder

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