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Bekämpft den unschlagbaren Feind

■ „Der Mann von La Mancha“ — Wie sich das Bremer Theater an ein Musical wagte und knapp, aber hochverdient ein Unentschieden errang

Die Kritik lästerte herum, das Publikum war entzückt. So wird es wieder einmal auf die Nachwelt kommen; da soll man sich lieber gleich auf die Seite des Publikums schlagen. Ja, dem Bremer Theater ist sein erstes großes Musical keineswegs daneben gegangen! Was gelingen konnte, ist so gut wie gelungen! Und der Abend rauschte großteils in Kurzweil dahin! Auch das Publikum am Premierensamstag war hervorragend disponiert; es jubelte sogar über ein kleines Ungeheuer „aus dem Jurassic Park“ und am Ende ausdauernd über alles.

Weiter mit den guten Nachrichten: Die Bühne (von Dieter Flimm) war tief und weit wie schon lang nicht mehr; bis ganz nach hinten erstreckte sich eine Großraumschreibstube voller Schreibtische, welche sich im Lauf der Zeit willig zu immer neuen Bühnenbildern verschieben und aufeinandertürmen ließen. Einige von ihnen zeigten sogar beachtliches Talent als Pferdedarsteller.

Es mußten halt alle zusammenhelfen, weil sich unser kleines Theater ein richtiges Musical mit richtigen Musicaltausendkünstlern gar nicht leisten könnte. Regelrecht rührend, wie es trotzdem ging: Der Schauspieler Andreas Keller, weil er passabel singen kann, wurde als Don Quichotte requiriert. Der halbe Chor wiederum ergab sich nach Kräften der Schauspielerei und trieb als lärmendes, vorwitziges, hinterlistiges Volk das Geschehen um. Selbst die Oper sandte drei ihrer Meistersinger als Verstärkung, darunter den köstlichen Hans-Jörg Bock als Sancho. Und vollends unser Ehrwürden Staatsorchester schmetterte mit Schmackes einen Gassenhauer nach dem andern aus seinem Graben.

Solchen Helden gehört selbst die Welt des Musicals, in die sich sonst kein Fachfremder ungestraft wagt: Mit reichlichem Tempo und einigem Witz vollzog sich also unter der Regie von Elmar Gehlen das Spiel um den Dichter Cervantes, der im Gefängnis landet, welches hier ein Büro ist, Sie wissen schon. Um sich den andern Insassen zu erklären, die es nun einmal verlangen, führt er ihnen seine Ge

schichte vom Don Quichotte auf, vom unbezwinglich närrischen Rittersmann, der ja doch als einziger noch Ideale hat auf dieser Scheißwelt.

Und wirklich, es gelingt dem Cervantes, das skeptische Volk nach und nach in sein Stück hineinzulocken, was wir leider als großen Sieg der Pädagogik über die Bühne erleben müssen. „Glaubt ihr nicht, daß man ein

hierhin bitte das

Theaterfoto mit zwei

Schauspielern und

Spiegel

gewisses Maß von Güte in die Welt bringen kann?“ muß wahrhaftig der Don einmal fragen. Man sieht: Dale Wasserman hat für dieses sein Broadway-Musical aus dem großen Stoff eine Phantasiervorlage für patschweiche Seelchen gemacht. „Er träumte den unmöglichen Traum“, heißt es nun im Liede vom Don, er „bekämpft den unschlagbaren Feind“.

Ach, es ist direkt ein wenig bitter, wenn der verbohrteste Enthusiast der Literaturgeschichte zum Deppen gemacht wird. Da tröstet einen auch keine Musik: Ihr ist das Geschehen mit seinem Wirr und Warr sowieso ziemlich einerlei. Sie kennt kein Schmachten und kein Rasen, kein Bangen und kein Tuscheln, und vor allem so gar keinen Witz. Jedesmal dröhnt sie in voller

Breitwandmelodramatik dahin, als finge schon wieder ein Kinowestern an.

Wir werden nie erfahren, warum unser tapferes kleines Theater sich vor dem drohenden Sieg in die Sicherheit des Unentschieden rettete, indem es gerade dieses Stück wählte. Und wenn, werden wir's nicht verstehen. Manfred Dworschak

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