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Wohlwollen, Nostalgie und eine Portion Neugier

Keineswegs nur ein harmloser Naivling: „Benno Besson – Der fremde Freund“ Ein Filmportrait von Philippe Macasdar im Babylon  ■ Von Sabine Seifert

„Sein Berlin gibt es nicht mehr“, sagt Tochter Katharina Thalbach – gemeint ist Ost-Berlin. Solange die Mauer stand, hatte sich Benno Besson geweigert, in West(!)-Berlin zu arbeiten. 1977 hatte der gebürtige Schweizer, Jahrgang 1922, der seit 1949 zunächst bei Brecht und später an anderen Theatern der Hauptstadt der DDR Theatergeschichte machte, der DDR den Rücken zugekehrt.

Diverse Querelen hatten den Theatermann, der wie ein exotischer Vogel im DDR-Betrieb gewirkt haben muß und – mit Schweizer Paß – stets über Reisefreiheit und besondere Bedingungen verfügte, nicht kleingekriegt; doch Ende der 70er Jahre war der Schlußpunkt erreicht, es gab nichts Interessantes mehr zu inszenieren. Oder umgekehrt, alles was der Regisseur zur Genehmigung einreichte, wurde abgelehnt.

Er ging, blieb Berlin fern und bewahrte sich ein recht wohlwollendes Bild des Staates, in dem er immerhin beinahe 30 Jahre seines Lebens verbracht hat. Dieses Wohlwollen, gepaart mit einem Schuß Nostalgie und einer Portion Neugier, hat sich auch auf Philippe Macasdar übertragen, der mit Besson in der französischen Schweiz am Theater gearbeitet hat.

Macasdar kam 1992 mit ihm nach Berlin, wo Besson die Proben zur deutschen Erstaufführung des Stückes „Hase Hase“ seiner heutigen Lebensgefährtin Coline Serreau am Schiller Theater aufnahm. Der dabei entstandene Film „Benno Besson – der fremde Freund“ dokumentiert einerseits – chronologisch geordnet, als handele es sich um einen Durchlauf oder eine Hauptprobe – den Probenprozeß von „Hase Hase“. Jene Inszenierung, mit der das Schiller Theater ausnahmsweise noch einmal Furore machte. Andererseits spürt er mit dem Blick des Außenstehenden der Geschichte Benno Bessons in Berlin nach.

Manche Fragen hätte man sich etwas kundiger, schärfer gewünscht; es taucht beispielweise nie die Frage auf, ob sich Besson – als Aushängeschild Richtung Westen – nicht auch benutzt gefühlt hat. Der Film ist eine Hommage und doch sehr lebendig geraten, da er geschickt die Interviewpartner mischt – Besson-Freunde wie Heiner Müller oder Erwin Strittmatter, Feinde wie Peter Palitzsch oder Manfred Wekwerth, Bekannte wie Wolf Biermann oder die Mitglieder der großen Besson- Familie Ursula Karusseit oder Katharina Thalbach – und sie dabei durchaus auch gegeneinander ausspielt.

Auch der Filmteil, der die Jahre Bessons in Berlin dokumentiert, verfährt chronologisch, angefangen bei der Ankunft im zerbombten Berlin von 1949, das der Amateurfilmer Benno Besson damals festgehalten hat. Die Arbeit mit und bei Brecht wird durch Aufführungsfotos und Originalmusiken vorgeführt, erst in späteren Jahren kann man auf elektronische Aufzeichnungsverfahren zurückgreifen.

Besson ging bei Brecht in die Schule und wurde vielleicht sein begabtester Schüler – kein Adept (Heiner Müller: „Er konnte am freiesten mit Brecht umgehen“). Nach des Meisters Tod kommt es prompt zu Zwistigkeiten mit den anderen Meisterschülern Palitzsch und Wekwerth, die es letztlich schafften, ihn – mit Hilfe der Weigel – auszubooten.

Besson wechselte ans Deutsche Theater, wo er in den 60er Jahren seine berühmten Inszenierungen „Der Frieden“ nach Aristophanes/ Hacks und „Der Drache“ von Jewgenij Schwarz erarbeitete. Beim „Drachen“ sollte Wolf Biermann die Musik schreiben; sie verkrachten sich, und der Konflikt wirft vielleicht ein bezeichnendes Licht auf die Position, die Besson in der ehemaligen DDR einnahm. Biermann heute: „Besson war nicht mutig und nicht feige. Oder er war mutig, weil er sich weigerte, es auf den Faschismus zu münzen, feige, weil er es nicht auf Ulbricht zuschneiden wollte. Er war wahrscheinlich klüger...“ Besson inszenierte die sowjetische Fabel über den Stalinismus als modernes Märchen – der Erfolg war überwältigend, es gab 580 (!) Aufführungen dieser Inszenierung.

Ende der 60er Jahre, als die Hippie- und 68er-Bewegung andeutungsweise auch in die DDR überschwappte, übernahm Besson die Leitung der Volksbühne, wo er als erstes die Regierungsloge abmontieren ließ und sein Konzept des Volkstheaters mit gesamttheatralischen Spektakeln umsetzte. Er widersetzte sich den „Empfehlungen“ von oben und spielte Müller, arbeitete mit dem Duo Karge/ Langhoff und Fritz Marquardt zusammen, probte mit Arbeitern. „Ich bin ein Kleinbürger“, sagte Benno Besson nach wie vor, „ich habe mich nie mit der Arbeiterklasse verwechselt. Aber immerhin hab' ich sie kennengelernt.“

Diese Erfahrungen haben ihm möglicherweise später Zugang verschafft zu den Stücken der Französin Coline Serreau, deren Protagonisten aus der französischen Arbeiterklasse stammen. Besson konzipierte seitdem eine bei uns eher unbekannte und nie so ganz akzeptierte Form des Volkstheaters, die Spielfreude, politischen Witz und Unterhaltung mit Leichtigkeit verband, eine Art modernen und poetisch-grotesk verdichteten Naturalismus schuf. Wie sehr ihn selbst die Spielfreude treibt, bezeugen die Aufnahmen bei den Proben zu „Hase Hase“.

Besson lebt heute in Paris. Inszeniert hat er fast überall einmal, mehrere Jahre leitete er nach seinem Weggang aus der DDR die Comédie de Genéve. Nur ein einziges Mal hatte er in der Schweiz kurz nach dem Krieg an einem Theater gearbeitet, in seiner Heimatstadt Yverdon, wo er Brechts „Geschichte von den drei Soldaten“ erarbeitete – seine einstigen Mitspieler arbeiten heute als Ausbilder bei der Post oder Elektromeister, eine rührende Erinnerung altlinker Eidgenossen. Besson meint über seine Anfänge mit und bei Brecht: „Jeder nahm vom Erbe Brechts, was er haben konnte. Ich habe am meisten vom lebendigen Brecht genommen.“

Wie groß die Differenz zu den anderen Brecht-Schülern gewesen sein muß, erahnt man, wenn man Peter Palitzsch in die Kamera sagen hört: „Benno war mehr ein Spieler. Uns lag die literarische Arbeit am Herzen. Wir wollten Brecht zu Ende denken.“ Schließlich haben sie ihn ganz zu Ende und zur Strecke gebracht, während Besson die Ansätze des Brechtschen Volkstheaters auf seine – sicher von der romanischen Kultur geprägte – Weise weiterentwickelt hat.

Er war weit mehr als ein bunter Paradiesvogel in der DDR, und er hat auch mehr als nur ein paar nette Stücke und Theaterspektakel inszeniert; der Film Philippe Macasdars zeigt, daß der „Naivling“ (Biermann) in seiner Breitenwirkung so harmlos keineswegs war.

„Benno Besson – Der fremde Freund“. Regie: Philippe Macasdar. Schweiz/BRD 1993. 106 Minuten. Heute, am 12. und 19. Oktober im Kino Babylon, jeweils 21 Uhr.

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