: Die neuen Genossen vom Falkenberg
Serie: Die neuen Quartiere (5. Folge) / Die Siedlung am Falkenberg im Berliner Bezirk Treptow für 1.500 neue Wohnungen steigert das Gartenstadtkonzept aus den zwanziger Jahren in eine grüne Stadtkrone ■ Von Rolf Lautenschläger
Von der kleinen, 25 Meter hohen Falkenhöhe im Berliner Bezirk Treptow übersieht man die Bohnsdorfer Felder am besten. Nördlich der Hanglage reicht der Blick über die S-Bahn-Linie von Adlershof bis nach Grünau. Von den Niederungen Bohnsdorfs hat man eine gute Aussicht auf die gegenüberliegenden Müggelberge. Und mit den landenden Düsenjets senkt sich das Auge bis zum westlich gelegenen Flughafen Schönefeld. „Vom Turm des Krankenhauses“, meint Schwester Hidulfa, eine von sieben Ordensfrauen des Sankt-Hedwig-Krankenhauses, das auf der Spitze des Falkenbergs thront, „sehen wir noch besser, wie groß die Freiräume zwischen der Siedlung am Gartenstadtweg und der Buntzelstraße, die die Naturszenerie begrenzen, sind.“
Am Fenster beschreibt ihr Arm einen Halbkreis über die nach Norden und Osten abfallenden Hangseiten. Das natürliche Relief senkt sich dort herab zu den Baracken der Deutschen Reichsbahn, die hinter Sandbunkern einer ehemaligen Flakstellung versteckt liegen, über immergleiche Häuschen einer sogenannten MfS-Siedlung, Obstplantagen und Ackerland bis zu den Genossenschaftsbauten der sogenannten „Tuschkasten-Siedlung“ von Bruno Taut aus dem Jahre 1913. „An die Hedwigshöhe schließt sich im Süden ein Wohngebiet an“, erklärt Hidulfa und weist mit dem Daumen über die Schulter. „Und direkt hinter der ehemaligen Seuchenbaracke des Krankenhauses wird wohl auch gebaut werden.“
Das Krankenhaus, in das 1924 die Ordensschwestern als Nachfolgerinnen der Gärtner von Schloß Sanssouci einzogen, bildet die eine Landmarke in dem rund vierzig Hektar großen Wettbewerbsgebiet für die geplante „Gartenstadt am Falkenberg“. Den anderen Bezugspunkt der neuen Siedlung für rund 1.500 zusätzliche Wohnungen, Kindertagesstätten, einen Schulstandort und städtische Einrichtungen wie Büros und Geschäfte nach dem städtebaulichen Konzept der Berliner Architekten Quick und Bäckmann setzt die genannte Tuschkasten-Siedlung Bruno Tauts, deren ortsbildprägende Figur und soziales Konzept die Perspektiven auch für die Neubebauung in der hügeligen Topographie vorgeben.
Bruno Tauts genossenschaftliche Utopie im Grünen weist zurück auf die Reform- und Gartenstadtbewegung der Jahrhundertwende, die sich als Reaktion auf die Formlosigkeit der Stadt sowie die schlechten Lebens- und Wohnbedingungen der steinernen Mietskasernen verstand. Auf der Suche nach alternativen Lebensformen am Stadtrand kooperierten die Stadtflüchtigen mit den Bodenreformern der ersten Genossenschaften. Das Ziel war es, günstige und hygienische Wohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen für alle Schichten der Bevölkerung zu bauen, mit rechtlicher und wirtschaftlicher Absicherung der Mitglieder – der Genossen und Genossinnen – in Form von Mitgliedschaften, der Zahlung von Genossenschaftsanteilen sowie festem Mietzins und Dauermietverträgen.
In der Gartenstadtbewegung und deren sozialen und kulturreformerischen Ansätzen fand die Genossenschaft eine wahlverwandte Partnerin. In Karlsruhe- Rüppur und Dresden-Hellerau wurden ab 1905 die ersten gemeinschaftlichen Bauvorhaben geplant mit den Qualitäten individuellen Wohnens am Stadtrand und gemeinschaftlicher Einrichtungen. Mit der Gründung der „Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft 1892“ faßte die Gartenstadtidee in Berlin Fuß. Der damalige Anteil der Genossenschaftler betrug 300 Goldmark und wurde in Wochenraten zu 30 Pfennig angespart. „Die 1892“, bemerkt Gert Oeltjen, „verfügt noch heute über demokratisch gewählte Organe, Aufsichtsräte und Siedlungsausschüsse, die die Interessen der einzelnen Genossen vertreten.“
1912 erwarb die „1892“ das Areal am Falkenberg. Taut entwarf den Plan einer kleinen Vorstadt, von der zwischen 1913 und 1915 nur die Bauten am Akazienhof und entlang des Gartenstadtwegs realisiert wurden. In dem Gesamtplan reihten sich Quartiere mit zweigeschossigen Zeilen aneinander – gleich englischen Reihenhäusern –, die im Rhythmus der ansteigenden Topographie gestaffelt wurden. Jedes Haus erhielt eine eigene Farbe und hatte Bezüge zum Garten und zu den öffentlichen Räumen. „Die Typen- und Reihenhäuser“, schrieb 1913 der Architekturkritiker Adolf Behne, „werden durch die wechselnde Farbgebung individualisiert. Die Gefahr der Uniformität wird durch das Hilfsmittel der Farbe sehr glücklich beseitigt.“
Aufgrund wirtschaftlicher Probleme und dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurden statt 1.500 Wohnungen nur einige hundert verwirklicht. Wegen ökonomischer Probleme fusionierte die Gartenvorstadt 1919 mit dem „Spar- und Bauverein Berlin“. Nach dem Fall der Mauer gingen die zu DDR-Zeiten umgewidmeten Grundstücksflächen wieder an den ursprünglichen Eigentümer, die „1892“, zurück. Auf ihren Flächen – natürlich für ihre Genossen – ebenso wie auf den kircheneigenen Gebieten soll das Bauvorhaben „Gartenstadt Falkenberg“ ab 1994 im Rahmen eines städtebaulichen Vertrages oder als Entwicklungsmaßnahme begonnen werden.
Die neue Siedlung wird eine Fortschreibung des Tautschen Leitbildes darstellen: 1991 wurde ein „Gartenstadt-Kolloquium“ dem städtebaulichen Realisierungswettbewerb von der Senatsbauverwaltung vorangestellt. „In dem Kolloquium ging es darum“, so Senatsbaudirektor Hans Stimmann, „einmal die Grundlagen der Gartenstadt herauszuarbeiten, diese mit den aktuellen Rahmenbedingungen zu konfrontieren, um daraus Anforderungen an eine neue, zeitgemäße Gartenstadt abzuleiten.“
Zu den neuen städtebaulichen Überlegungen zählten neben einer synthetisierten Gestaltung von Natur und Bebauung sowie neuer individueller und gemeinschaftlicher Wohnformen die Entwicklung ökologischer Elemente für die zukünftige Vorstadt. Die neue Gartenstadt, forderte der 1993 ausgeschriebene Wettbewerb, „soll jedoch keine vorstädtische Schlafstadt werden. Im Vordergrund des Konzepts steht ein neues städtebauliches System, das in sich gegliedert ist, eine hohe Dichte von Häusern mit drei bis vier Geschossen hat, Quartiersbildungen und eine Mitte als Zentrum aufweist. Wesentlich ist auch die Entwicklung eines neuen Verhältnisses von vielfältigen privaten und öffentlichen Räumen.“
Das städtebauliche Konzept der Berliner Architekten-Gemeinschaft Quick und Bäckmann, für das derzeit ein Bebauungsplan erstellt wird, geht jedoch ganz auf Distanz zum Tautschen Bauprogramm und macht radikal neue Vorschläge zum Bild der modernen Gartenstadt. „Es war nicht möglich, das Bild der Tautschen Siedlung einfach weiterzustricken“, sagt Klaus Quick. Die neue Gartenstadt wird von der früheren Siedlung abgerückt und bildet einen eigenen Schwerpunkt am Falkenberg, dem es noch an der verkehrlichen Anbindung mangelt.
Das Wohnquartier zerschneidet ein langer Central Park in zwei Teile, das lineare Parkband zieht sich als grüner Streifen über den Falkenberg. Die Areale beidseits des Grünzugs sollen mit dreigeschossigen Zeilen und Einzelhäusern in einem teppichartigen Raster bebaut werden, wobei „das Kontinuum der in Größe und Flächenproportionen unterschiedlichen Freiräume durch die orthogonale Staffelung der Häuser entsteht“, wie die Architekten betonen. Diese flachgedeckten Häuser haben eine einheitliche Traufhöhe von rund neun Metern. Die Architektur bezieht sich klar auf die Gestaltungsmerkmale der klassischen Moderne und vermeidet jeden Anschein von Vorstadttümelei. Aufgehoben in dem neuen Bauprogramm ist auch die straßen- oder gartenseitige Orientierung der Bauten zugunsten einer Mischung gleichwertiger Freiräume, über die man das Gelände bis in die Häuser hinein erschließt.
Das Konzept interpretiert dergestalt die Gartenstadt aus einer Vielfalt unterschiedlicher Außenräume und Proportionen, so daß insgesamt „eine fließende Bewegung“ (Quick) zwischen Wohnung, Garten und öffentlichem Außenraum entsteht. Diese moderne Konzeption „verlängert“ quasi die Tradition Bruno Tauts aus dem Haus heraus in den öffentlichen Raum, auf seine Wege und Plätze. Aus der räumlichen Komposition von Einzelhäusern entwickeln Quick und Bäckmann ein Spannungsfeld öffentlicher und privater Räume und Wegebeziehungen, die die unterschiedlichen Zonen und Quartiere als Ganzes begreifbar machen und die den Eigenheimcharakter mit Gärtchen auflöst zugunsten eines großen gemeinschaftlichen Beziehungsgeflechts aus Innen- und Außenräumen. Die Gartenstadt und ihre Genossen werden quasi ökologisiert und in der Stadtkrone des „Green Belt“ zusammengeführt.
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