■ Haiti vor der Rückkehr seines Präsidenten: Der Schatten eines zweiten Somalia
„Er hat Haiti an die Amerikaner verkauft“, schimpften viele Haitianer in der Diaspora, auch durchaus demokratisch gesonnene, nach Bekanntgabe des Pakts von New York auf ihren Präsidenten. Diesem Abkommen zufolge, unterzeichnet von Exil- Präsident Aristide und Putschistengeneral Cédras, sollte ein UNO-Korps die Rückkehr Aristides nach Haiti vorbereiten. Befürchtet wurde schon damals, daß die Entsendung womöglich amerikanischer Truppen einer Besetzung des Landes gleichkäme.
Auch wenn es in diesem Fall einerseits darum geht, die Sicherheit Aristides bei seiner Rückkehr zu garantieren, andererseits die haitianische Polizei und Armee zu „professionalisieren“, wie es heißt, so liegt die Entsendung der UNO-Truppen aber zu offensichtlich auch in amerikanischem Interesse. Für Clintons Politik ist es wichtig, daß der Strom der haitianischen Boat people in die USA endgültig gebremst wird. Auch aus militärischen Gründen ist das Interesse der USA an dem verarmten Inselstaat gewachsen, denn auf haitianischem Territorium möchten die Amerikaner nach Auslaufen des Vertrages mit Kuba über Guantánamo im Jahr 1999 einen Stützpunkt errichten. Die Entsendung von amerikanischen Blauhelm-Soldaten ist daher taktisch nicht gerade ein geschickter Zug, zu sehr ist die amerikanische Besatzung Haitis von 1915 bis 1934 noch heute im Bewußtsein der haitianischen Bevölkerung.
Die jetzt vom UNO-Sicherheitsrat verabschiedete Vorlage der USA, nach der erneut Sanktionen gegen Haiti erwogen werden, dient sicherlich nicht dazu, Mißtrauen, berechtigt oder nicht, auszuräumen. Man fragt sich ohnehin, ob es Taktik oder Blauäugigkeit war, das Öl- und Waffenembargo bereits kurz nach Unterzeichnung des Pakts von New York aufzuheben. Man hat damit ein legitimes Druckmittel aus der Hand gegeben, das – besser als ein Wirtschaftsembargo – die Putschisten in Schach gehalten hätte. Und der von Aristide berufene Premierminister Malval rief vielleicht ein wenig zu früh alle Exil-Haitianer auf, nach Haiti zurückzukehren, denn dem Aufruf folgten vor allem die Duvalieristen, die bald wieder, dank ihrer Finanzkraft, zu Macht und Einfluß gelangen könnten, während demokratisch gesonnene Haitianer bislang noch abwarten. Die aktuelle Krisensituation wird ihnen nicht gerade Mut machen, sich zurückzuwagen. Zu sehr wird in aller Öffentlichkeit gedroht, Haiti könnte ein zweites Somalia werden. Die USA, die UNO und die Welt können sich aber ein zweites Somalia nicht leisten. Birgit Pape-Thoma
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