Wer sitzt morgen im Weißen Haus?

■ Jelzin erläßt per Dekret Bestimmungen für die Parlamentswahlen im Dezember / Kombination von Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht / Bisher wurden 91 Parteien und Bewegungen zugelassen

Moskau (taz/AFP) – Können in Rußland innerhalb von zwei Monaten überhaupt Parlamentswahlen organisiert werden? Zumal es bisher nicht einmal ein Wahlgesetz gibt? Und was passiert mit den Parteien, die nach dem gescheiterten Putsch verboten worden sind? So lauteten in den vergangenen Tagen die Fragen, die am häufigsten mit den von Jelzin für den 12. Dezember angesetzten Wahlen zu Staatsduma und Föderationrat gestellt wurden. Inzwischen hat Jelzin sie zumindest teilweise beantwortet: Per Dekret erließ er die Bestimmungen, die die Wahlen zum neuen Unterhaus regeln; die Bestimmungen für das Oberhaus wurden bislang dagegen noch nicht offiziell bekannt.

Wahlberechtigt sind in der Russischen Föderation rund 104 Millionen Menschen. Sie wählen insgesamt 450 Duma-Abgeordnete. Eine Hälfte wird dabei nach dem Mehrheitswahlrecht in noch festzulegenden Wahlbezirken, die andere Hälfte nach dem Verhältniswahlrecht über eine Föderationsliste gewählt. Jedem der 88 Subjekte der Föderation soll mindestens ein Wahlbezirk zugeteilt werden. Die Kandidaten können gleichzeitig in den Wahlkreisen und auf der Ebene der Föderation antreten. Wer in einem Wahlbezirk gewinnt, wird von der Föderationsliste gestrichen. Für Parteienkoalitionen gilt die Fünfprozenthürde.

Das Jelzin-Dekret verpflichtet die staatlichen Medien, allen Kandidaten den gleichen Raum zur Vertretung iher Meinungen einzuräumen. Jeder hat das Recht, sich mindestens einmal in Fernsehen und Rundfunk zu äußern.

Kandidatenlisten für die Wahlen auf Föderationsebene dürfen jene Koalitionen und Parteien vorlegen, die beim Justizministerium registriert sind und die 100.000 Unterschriften in mindestens sieben Gebieten oder Republiken gesammelt haben. Bis Dienstag hatten sich 91 Parteien und Bewegungen für die Teilnahme an den Parlamentswahlen gemeldet. Unter ihnen sind alle Teile des politischen Spektrums vertreten.

Unterschiedliche Meinungen gibt es im Kreml weiterhin zu der Frage, ob die am Putsch beteiligten Bewegungen und Parteien von den Wahlen ausgeschlossen werden sollen. Dies würde neben der „rot- brauen“ Nationalen Rettungsfront vor allem die rund 500.000 Mitglieder zählende KP Rußlands sowie die von Ex-Vizepräsident Ruzkoi mitbegründete Volkspartei Freies Rußland treffen. Zu den bisher zugelassenen linken Parteien zählt die Kommunistische Union des ehemaligen Politbüromitglieds der KPdSU, Oleg Schenin. Unter den nationalistischen befinden sich die Rußländische Allgemeine Volksunion von Sergei Baburin sowie die sogenannte „Liberaldemokratische Partei“ von Wladimir Schirinowski. Dieser hat deutlich gemacht, daß er sich selbst als einen der künftigen Wahlsieger sieht, er rechnet mit 66 bis 67 der insgesamt 450 Sitze. Nach eigenen Angaben zählt die Partei 80.000 Mitglieder, der Parteichef gehört zu den Befürwortern eines autoritären Regimes „für drei Jahre“, außerdem tritt er für die Erhaltung eines mächtigen staatlichen Sektors ein.

Wichtige Gruppierungen des „Zentrums“ sind der Unternehmerverband von Arkadij Wolski, ein Zusammenschluß von Vertretern des militärisch-industriellen Komplexes sowie die rund 60.000 Mitglieder zählende und sich selbst als „liberal-konservativ“ bezeichnende Demokratische Partei von Nikolai Trawkin. Zu den Parteien, die Jelzin und die Politik der Regierung unterstützen, zählen die Partei Demokratisches Rußland sowie die Demokratische Reformbewegung des früheren Moskauer Bürgermeisters Gawriil Popow.

Immer deutlicher wird unterdessen, daß am 12. Dezember auch ein Referendum über die neue Verfassung stattfinden soll. Im Kreml sei man, so Jelzins Stabschef Sergei Filatow, inzwischen zu der Ansicht gekommen, daß am 12. Dezember möglichst viele politische Probleme gelöst werden sollen. Die Verfassungskommission soll am Freitag erneut zusammentreten. her