: Ein Stifter als Brandstifter
■ Die Hamburger Machtelite trauert um den völkischen Großkapitalisten Alfred C. Toepfer Von Karl-Heinz Roth
Am 8. Oktober starb der Hamburger Großkaufmann und Großstifter Alfred C. Toepfer im Alter von 99 Jahren; heute wird er beigesetzt und mit einem Staatsakt von Senat und Bürgerschaft verabschiedet: Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, Henning Voscherau und der frühere britische Premierminister Edward Heath halten die Trauerreden.
Schon einen Tag nach Bekanntwerden seines Todes publizierte die Regionalpresse in ganzseitigen Artikeln die Nachrufe der hanseatischen Politiker, Wirtschaftsverbände und Wissenschaftsbürokraten. Ex-Kanzler Helmut Schmidt verneigte sich vor Toepfer als einem „Patrioten“, der „aber immer zugleich – auch in der Nazizeit – von klarer europäischer Gesinnung“ gewesen sei. Die Handelskammer feierte Toepfer als eine Persönlichkeit, in der erfolgreiches „Unternehmertum“ auf hervorragende Weise seiner „Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl“ nachgekommen sei.
Der ehemalige Universitätspräsident Peter Fischer-Appelt sah in ihm einen europäischen Visionär, der aufgrund von zwei Weltkriegserfahrungen „unbeirrbar den Weg der Aussöhnung zwischen West und Ost“ gegangen sei, und der derzeit amtierende Universitätspräsident Jürgen Lüthje berichtete über die Trauer seiner Institution über ihren „langjährigen Ehrensenator“.Bürgermeister Henning Voscherau wiederum gab den Verlust eines „der bedeutendsten Söhne“ Hamburgs zu Protokoll, der sich nicht so sehr als Mäzen, „sondern als Diener am Volk, an Europa“ verstanden habe. In seinem Schlepptau schwärmten die Chefs der zwei größten Bürgerschaftsfraktionen vom vorgelebten „Dreiklang“ von „Vaterstadt“, „Vaterland“ und „dem sich einigenden Europa“ (Ole von Beust, CDU) und verherrlichten Toepfer als typischen Vertreter „eines hanseatischen Kaufherrn mit preußischen Tugenden“ (Günter Elste, SPD).
Völkische Expansion
Die Suada der Nachrufe und das Trauerritual gelten einem Exponenten der hamburgischen Kaufmannschaft, der nicht nur als Tycoon des internationalen Getreidehandels enorme Reichtümer angehäuft, sondern zeit seines Lebens erhebliche Teile seiner Gewinne für brisante „völkische“ Unternehmungen steuerbegünstigt abgeschrieben hat.
Alfred C. Toepfer wurde am 13. Juli 1894 in Altona in eine wohlhabende Kaufmannsfamilie hineingeboren. Im ersten Weltkrieg wurde er mehrfach verwundet. Auf den Untergang des Wilhelminismus und den Kriegsausgang reagierte er mit den Mentalitätsmustern der „konservativen Revolution“. Da ihm der Vater das Familienvermögen zunächst vorenthielt, mußte Toepfer sich seit 1919 als Gründer eines Futtermittelgeschäfts auf eigene Faust hocharbeiten. Dabei eignete er sich die dazu gehörige Portion unternehmerische Härte an.
Wie viele Hamburger Kaufleute der Nachkriegsgeneration ging Toepfer aus den Wirren der Weltwirtschaftskrise und der anschließenden nazistischen Staatskonjunktur gestärkt hervor, indem er seinen Geschäftsradius ausgehend vom Getreidehandel und der Schiffahrt rechtzeitig in Großgrundbesitz, Landwirtschaft und agrarische Verarbeitungsgewerbe ausweitete. Gleichzeitig engagierte Toepfer sich zunehmend in jener völkischen und jugendbündischen Irredenta, die sich auf das „Grenz- und Auslandsdeutschtum“ als politische Basis zur Revision von Versailles und zur Wiedergewinnung machtstaatlicher Größe konzentriert hatte.
Seit Ende der zwanziger Jahre finanzierte er den Bau von Jugendherbergen in den Schleswiger „Grenzlanden“ und den Erwerb von Gutshöfen in der Lüneburger Heide, um die jugendlichen Anhänger der „konservativen Revolution“ für den völkischen Expansionismus zu begeistern. Im Jahr 1931 faßte er seine diesbezüglichen Aktivitäten in einer seinem Unternehmen angegliederten Stiftung zusammen (Stiftung F.V.S.). Nach der „Machtergreifung“ der Nazis konzentrierte sich Toepfer zunehmend auf die Indoktrination der akademischen Jugend.
Im Herbst 1933 stattete der seit längerem von ihm engagierte völkisch-antisemitische Maler und Grafiker A. Paul Weber den Festsaal des Hamburger Studentenhauses mit drei Gemälden aus, die die „Dreifalt studentischer Pflichten... – die Pflicht zum Arbeitsdienst, zum Wissenschaftsdienst und zum Wehrdienst“ als „Grundlage für die Erziehung der deutschen Studenten der Gegenwart“ zum Ausdruck bringen sollten. Zuvor waren die Bilder der jüdischen expressionistischen Malerin Anita Rée entfernt worden.
Niederdeutscher Eichbaum
Für diverse „Wissenschaftslager“ der im Juli 1933 an die Stelle des Allgemeinen Vorlesungswesens getretenen „Politischen Fachschaft“ stellt Toepfer seine Jugendherbergen, Schlösser und Bauernhöfe zur Verfügung, in denen sich Studenten und Dozenten gemeinsam auf ihre politischen Führungsfunktionen im Dienst der „Volksgemeinschaft“ vorbereiteten. Besondere Bedeutung erlangten dabei die „Niederdeutschen Studienlager“ des Germanischen Seminars, die bis zum Sommer 1939 auf Toepfers Gutshof Thansen in der Lüneburger Heide stattfanden.
Sie waren straff durchorganisiert: Flaggenparaden, politische Tagesberichte und Schulungsvorträge über „Volk, Staat und Stamm im Dritten Reich“ gehörten zum Repertoire. Später wurden auch kollaborationswillige Niederländer und Flamen „hinzugezogen“, um „wieder wie zu Zeiten der Hanse unseren niederdeutschen Eichbaum von der Flandernküste bis hinauf an die Ostseeprovinzen seine knorrigen Äste recken (zu) sehen.“
Seit 1935 wollte Toepfer höher hinaus. Zur faschistischen „Gleichrichtung“ der Studentenschaft kamen nun Eingriffe in den Forschungs- und Lehrbetrieb hinzu, um die Geisteswissenschaften für den völkisch legitimierten Expansionsdrang zu nutzen. Bestärkt wurde Toepfer dabei durch den mit ihm befreundeten Historiker Gustav Adolf Rein, der wie Toepfer dem Hamburger Nationalklub angehörte. Rein war 1934 zum Rektor der Universität gewählt und im gleichen Jahr von Toepfer in den Stifungsrat der F.V.S.-Stiftung koopiert worden.
Im März 1935 gründete Toepfer als Unterstiftung seiner Stiftungsholding die „Hansische Stiftung für geistiges Schaffen“ an der Hamburger Universität (später: „für Literatur und Kunst“), die jedes Jahr drei mit je 10.000 Reichsmark dotierte Preise vergeben sollte, um zur kultur- und „volkstumspolitischen“ „Wiedergewinnung des „alten hansischen Raums“ beizutragen. Rein erfüllte dabei für Toepfer zweierlei Funktionen. Erstens sorgte er dafür, daß in den durch die Dotationsvergabe aufgewerteten geisteswissenschaftlichen Universitätsinstituten die „richtigen“ Karrieren vorankamen, um die „innere Ausrichtung“ von Forschung und Ausbildung auf den „niederdeutschen“ und den „nordischen“ Expansionismus zu sichern.
Zum zweiten hatte Rein zusammen mit den kooptierten Institutsvertretern und den zuständigen Experten aus Reichspropagandaministerium und Außenpolitischem Amt der NSDAP für die Auswahl geeigneter Preisträger aus den anvisierten Ländergruppen zu sorgen. Die zwischen 1936 und 1943 Gekürten entsprachen diesen Intentionen. Während der Shakespeare-Preis für den „englischen Raum“ nur in den Vorkriegsjahren vergeben wurde, kamen in den Genuß des Rembrandt-Preises für den „niederländisch-flämischen“ sowie des Henrik-Steffens-Preises für den „nordischen Kulturraum“ nord- bzw. westeuropäische Persönlichkeiten, die sich auch nach der Okkupation ihrer Länder im April/ Mai 1940 für ein „Großgermanisches Reich“ unter deutscher Führung aussprachen.
Großgermanisch,
So setzte Rein mit den Stiftungsdotationen Toepfers ein Hochschulkonzept durch, das die geisteswissenschaftlichen Ressourcen der Hamburger Universität in den Dienst „grenz- und auslandspolitischer“ Machtansprüche gegenüber dem niederländisch-sprachigen Westeuropa und Skandinavien stellte, womit er zugleich seine Karriere in den „großgermanischen“ und „überseeischen“ Planungszentren der NS-Diktatur vorbereitete. Alfred C. Toepfer dagegen verbuchte als prinzipiell „ungenannter hansischer Kaufmann“ mit Hilfe dieser volkstums- und kulturpolitischen Aktivitäten einen enormen Terraingewinn bei der Rückeroberung der west-, süd- und nordeuropäischen Getreidemärkte und beim Ausbau landwirtschaftlicher Veredelungsindustrien.
Zugleich erleichterte es ihm der wahrhaft „hochherzige“ Habitus des Stifters, die Restriktionen der Außenhandelsbehörden gegen seinen Expansionskurs zu unterlaufen und seine vor allem in den Jahren 1937/38 von einigen NS-Institutionen befehdete Klientel aus dem Lager der „konservativen Revolution“ zu schützen.
Im Jahr der Annexion Österreichs und der Sudetengebiete sowie der Proklamation des „Großdeutschen Reichs“ überschritt Toepfer die „hansischen“ Grenzen seines bisherigen ökonomisch-volkstumspolitischen Expansionskonzepts. Er aktivierte nun eine zweite Unterorganisation seiner Stiftungsholding, die er 1935 neben der „Hansischen Stiftung“ vorsorglich etabliert hatte. Mit der weitaus umfangreicher disponierten „Johann-Wolfgang-Goethe-Stiftung“ sollte nichts weniger bezweckt werden als die „Abdeckung“ jener Territorien des „europäischen Großraums“, die Toepfer mit den Preisvergaben der „Hansischen Stifung“ nicht erreichte.
Der Großunternehmer des europäischen Getreide- und Futtermittelhandels avancierte zum größten privaten Stifter der NS-Diktatur. Auch bei dieser Arrondierung von Handelsausweitung und volkstumspolitischer Strategie sorgte Toepfer dafür, daß die persönliche Anonymität gewahrt blieb. Alle „Grenzlanduniversitäten“ bekamen es jetzt mit dem Stifter Toepfer zu tun, wobei ihm neben Gustav Adolf Rein vor allem Werner Hasselblatt, der „ständige Beauftragte der deutschen Volksgruppen in Europa“, Experte der seit Beginn der dreißiger Jahre gegründeten „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ und Volkstumsspezialisten der Wehrmacht-Abwehr zur Hand gingen.
Sie wählten zusammen mit Toepfer aus der Professorenschaft von sieben Hochschulen sowie den Führungen der jeweiligen „auslandsdeutschen Verbände“ die Kuratoriumsvorsitzenden und -mitglieder aus, um je nach territorialem Schwerpunkt „die geistig-kulturellen Zusammenhänge des Volks- und Grenzlandsdeutschtums mit der Reichsmitte durch Verleihung von Kulturpreisen“ zu bekräftigen. Noch im Jahr 1938 erfolgten fünf weitere Gründungen in Königsberg, Prag, Wien, Innsbruck und Breslau.
Mit Wehrmacht und SS
Unter den Repräsentanten und Preisträgern des toepferschen Stiftungsarchipels befanden sich mehrere, die Ende 1939/Anfang 1940 in die volkstumspolitischen Selektionsstäbe der Wehrmacht-Abwehr und des Sicherheitsdienstes der SS aufrückten. Walter Kuhn beispielsweise, der erste Preisträger des Breslauer Nikolaus-Copernicus-Preises von 1939, bediente wenig später die „Ansiedlungsstäbe“ des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums in den annektierten polnischen Westprovinzen mit seinen Gutachten. Hans Koch war Juni/Juli 1941 als Ukraine-Repräsentant des Oberkommandos der Wehrmacht an der Auslösung der Judenpogrome durch ukrainische Milizen in Lwow/Lemberg mitbeteiligt.
Mit seinen Stiftungsaktivitäten reihte sich Alfred C. Toepfer in eine hanseatische Expansionspolitik ein, die von wirschafts-wissenschaftlichen Studien zur „Produktivierung“ der jüdischen Großgettos auf polnischem Boden über die Teilnahme Hamburger Großunternehmer an den baltischen Wirtschaftsstäben der SS bis zur Reprivatisierung der Treuhandbetriebe des Wirtschaftsstabs Ost in der Ukraine reichte.
Wer im Fall Toepfer nach der historischen Wahrheit sucht, gerät am Beispiel der Hamburger Großunternehmer und Großstifter rasch in einen Zusammenhang, den die Geschichtswissenschaft bislang weitgehend ausgeblendet hat. Die „volkstumspolitischen Flurbereinigungen“ waren nicht nur ein Anliegen der Auslandsorganisationen der NSDAP und der SS, sondern gerade im Fall Hamburgs auch vieler Großunternehmer und der von ihnen „großherzig“ geförderten Wissenschaft.
Echte Naturhaftigkeit
Nach 1945 befand sich Toepfer zusammen mit einigen anderen Repräsentanten der Hamburger Wirtschaftselite in britischer Internierungshaft. Dieses Trauma veranlaßte ihn jedoch keineswegs zur selbstkritischen Überprüfung seines bisherigen Handelns. Toepfer gehörte nicht zu denjenigen, denen der Universitätsrat im Jahr 1946 die – ihm 1942 verliehene – Ehrensenatorwürde aberkannte. Als sich die Restauration Ende der vierziger Jahre offen durchsetzte, zeigte auch er wieder Flagge. Mit viel Energie reorganisierte er sein Stiftungsimperium und ernannte seinen ebenso ungebrochenen Gesinnungsgenossen Gustav Adolf Rein zum Vorsitzenden des siebenköpfigen F.V.S.-Stiftungsrats.
Aber auch während des basisdemokratischen Aufbegehrens der späten sechziger Jahre blieb der Autokrat Toepfer unbeugsam. Als sein Handelsimperium in der globalen Strukturkrise der achtziger Jahre in ein transnationales Konzernkonglomerat umgewandelt wurde und er dabei seinen prägenden Einfluß verlor, kehrte Toepfer zu jenen Stätten jungvölkischer Sozialisation zurück, deren „echter Naturhaftigkeit“ seine ersten Stifteraktivitäten gewidmet gewesen waren. Der „Verein Naturschutzpark“, dem Toepfer bis zu seinem Tod vorstand, macht es sich laut Satzung zur Aufgabe, „ursprüngliche und eindrucksvolle Landschaften... gegen die verhängnisvollen Eingriffe der fortschreitenden Zivilisation zu bewahren“ und vor den „volksbiologisch bedrohlichen Folgen“ zu warnen.
Als Großkapitalist und als völkischer Großstifter wirkte Toepfer immer aus dem Hintergrund. Bei seinen wirtschaftlichen und volkstumspolitischen Operationen scheute er wie kein anderer die Öffentlichkeit, zugleich war er aber süchtig nach öffentlicher Anerkennung. Sie wurde ihm vor allem in den achtziger Jahren reichlich zuteil. Die Nachrufe sind ein letztes Beispiel dafür, in welchem Ausmaß Toepfer die Spitzen der politischen Klasse und der Wissenschaftsbürokratie in seiner Hand hatte.
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