: „Die Schüler gehen alle baden“
■ Kritik an „Vollzeitlehrgängen“, die Lehrstellen ersetzen / GEW: Lehrer für die schwierigen Schüler nicht ausgebildet
Unter chaotischen pädagogischen Bedingungen werden Jugendliche, die ohne Lehrstelle sind, in schulischen Ersatzmaßnahmen unterrichtet. Er könne nicht mehr schlafen, berichtete ein Berufsschul-Lehrer, weil es weder Lerninhalte noch ein Ziel für seine Klasse gebe. „Die Schüler tun mir leid, die gehen alle baden“, sagte der Lehrer gestern auf einer GEW-Konferenz, die sich mit der Situation der sogenannten „Vollzeitlehrgänge“ befaßte.
In den Vollzeitlehrgängen („VZ 11“) der Berufsschulen sollen SchulabgängerInnen ihren Hauptschulabschluß nachholen und sich dabei auf ihren Wunschberuf vorbereiten können. Auf den 1.175 VZ-11-Plätzen Berlins drängeln sich aber über 1.600 Schüler. Wie die taz berichtete, hatten die Schulen massive Kritik an der Schulverwaltung geübt: Sie habe 1993 erneut viel zuwenig solcher schulischer Ersatzmaßnahmen angeboten. Von 1984 hat sich die Zahl der „VZ-11er“ kontinuierlich auf über 1.000 im Jahr 92 gesteigert; beworben hatten sich mehrere tausend.
Bei der gestrigen Konferenz im Kreuzberger Oberstufenzentrum Handel wurde nun festgestellt, daß die BerufsschullehrerInnen für VZ-11-Unterricht meist „völlig unzureichend ausgebildet sind“. In Vollzeitlehrgängen seien viele lernschwache SchülerInnen, die wahrscheinlich nie einen Abschluß erreichen. „Unterricht ist da vollkommen unmöglich, wenn wir nicht durch einen Trick die Klassen teilen und einen Sozialpädagogen mit hineinsetzen würden“, schilderte der Leiter des Oberstufenzentrums Ernährung und Hauswirtschaft, Günter Labitzke.
Schulrat Dieter Wittke von der Senatsschulverwaltung wurde aufgefordert, „die Zahl der Lehrerstellen für VZ 11 zu verdoppeln“. Die festgelegte Klassenstärke müsse von 25 auf die Hälfte reduziert werden. Es brauche eine sozialpädagogische Betreuung und andere Lehrformen.
Wittke stritt ab, daß die Plätze nicht ausreichten. Er kritisierte das „scheußliche Pokerspiel“, das Wirtschaft und Staat um Lehrstellen und Ersatzmaßnahmen dafür vollführten. Wittke kündigte an, den als kompliziert und veraltet angesehenen „Schülerleitbogen“ abzuschaffen. Damit zeigen Jugendliche im letzten Schuljahr bislang ihren Bedarf für VZ 11 an. Eine Lehrerin der Wilhelm-Ostwald-Oberschule Neukölln bezeichnete den Leitbogen aus der Schulverwaltung unter Beifall der rund 100 TeilnehmerInnen als „Schwachsinn“. „Wenn Sie Unterstützung beim Umschreiben brauchen“, sagte die aufgebrachte Frau zu dem Beamten der Schulverwaltung Wittke, „meine haben Sie.“ Christian Füller
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