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Distanz verschafft

Zu Ingeborg Bachmanns zwanzigstem Todestag am 17. Oktober: Anonymisierte Heldin eines Romans ihres ehemaligen Geliebten Hans Weigel  ■ Von Elke Brüns

Hans Weigel wurde einmal nicht gefragt. Bei einem Mann, der die österreichische Kulturszene als Förderer der Nachkriegsliteratur, Theaterkritiker, Essayist und Romancier entscheidend mitprägte, mußte sich das rächen. Ungefragt also meldete sich Weigel 1992 mit der Neuausgabe seines Romans „Unvollendete Symphonie“ von 1951 zurück und wußte ihm auch einen verkaufsfördernden Anstrich zu geben: Enthüllungsliteratur. „Ingeborg Bachmann, Hans Weigel und das Wien der Nachkriegsjahre in einem Schlüssel-Roman“ versprach der Schutzumschlag und gab auch gleich das Motiv der Indiskretion preis – gekränkte Eitelkeit: „Ich gebe diesen Schlüssel zum Schlüssel mit umso lachenderem Behagen hiermit preis, als die Bachmann seither das geworden ist, was man in Deutschland derzeit mit dem blöden Wort ,Kultfigur‘ bezeichnet, und als keiner ihrer dortigen Biographen und Essay-Porträtierer es für erforderlich erachtet hat, mich zu befragen.“

1951 hatte Weigel dem Text ein Vorwort als Lesehilfe vorangestellt: Das Thema sei „Wien und Wiederkehr“, das „Wesentliche die Begegnung zweier Menschen miteinander und mit einer Stadt“. So findet man sich im Nachkriegs- Wien einer jungen Künstlerboheme wieder: die Szenerie der Armut und des „Hungers nach Menschen und Kunst“, der Wiedersehensfreude nach dem Exil, der improvisierten Parties und Caféhaus- Plaudereien ist der Hintergrund für die Liebesgeschichte Weigels (alias Peter Taussig) und Bachmanns (alias namenlos). Anders als man erwarten könnte, handelt es sich aber nicht um ein Erinnerungsbuch an Ingeborg Bachmann, wenn sie auch die zentrale Rolle spielt.

Die „Darstellungsart“, ahnt und warnt Weigel, könnte „befremdlich scheinen“, denn in seinem Roman spricht „weder der Autor direkt noch sein Held“. Wer spricht? Die „Heldin“, sagt das Vorwort von 1951, bei der es sich, ergänzt freimütig das Nachwort von 1992, „um meine Kollegin Ingeborg Bachmann handelt, die“ – eine aufgewärmte Anekdote – „von unserem Mentor Heimito von Doderer als ,der Bachmann‘ bezeichnet wurde.“ Der Bachmann ist allerdings im Roman ganz Frau: „Ich bin erst durch dich und bei dir zu einer Frau geworden, auf die Männer Wert legen. Was hast du alles aus mir gemacht, Peter?!“

Was Weigel aus Bachmann gemacht hat, ist allerdings eine gute Frage. Vor allem dient sie ihm als Medium der Selbstbespiegelung: „Denn du, Peter, du bist in all dem gewesen, als dein Geschöpf hab ich's erlebt und um deinetwillen.“ Sätze wie diese sprechen die poetologische Wahrheit des Textes aus. Er wird nicht dadurch befremdlich, daß hier eine Figur durch eine andere geschildert wird, sondern durch die vierzig Jahre später nachgereichte Mitteilung, daß die anscheinend fiktionale Ich-Erzählerin selbst Schriftstellerin war. Die Preisgabe der Identität der „Heldin“ zieht so eine Art Unschärfe der Autorschaft nach sich, für die es Gründe gibt. Weigel beschreibt in seinem Roman die Begegnung zweier Menschen mit sich und ihrer Stadt. Er verarbeitet darin aber die Trennung dieser beiden und das Weggewesen-Sein eines dieser Menschen aus seiner Stadt, die Emigration. Diese Konflikte liegen einer – wie Weigel 1992 versichert – ihm sonst „unbekannten Tendenz zum Schlüsselroman“ zugrunde.

Weigels Version der Liebesgeschichte gestattet ihm nicht allein durch Selbststilisierung das verlassene und gekränkte Ich wieder aufzupolieren, auch den bedrohlichen „anderen Herren“ wird breiter Raum gegeben: „Es ist ganz einfach gewesen, Männer zu finden – nein, erschrick nicht, Peter, so viele sind es gar nicht gewesen!“ Dem Erschrecken des Autors folgt die Beschwichtigung der Heldin auf dem Fuße: „Ich habe mich nie ganz fallen lassen, habe mich immer behalten und zurückgenommen.“ Falls es überhaupt (was nie ganz klar wird), andere Herren gegeben hat, muß der Autor das zudem auf seines Helden Konto verbuchen, hat der doch der Heldin die Vorzüge freiheitlicher Partnerschaft gepredigt. (Ob nun zum Glück für Weigel oder „Taussig“ blieb aber die Heldin immer bei sich und auf diese Weise, welch schönes Konstrukt, sein Geschöpf.) In nachträglichen Idealisierungen wird der Eifersuchtsschmerz geleugnet und Trennendes aufgehoben. Die befremdliche Form der Autorschaft erklärt sich demnach zunächst als Liebeswahn: Ach, hätte doch wirklich sie, die Bachmann, diese trostreichen Sätze geschrieben!

Die Verleugnung des Trennenden bestimmt indes auch das zweite Thema: Weigels Rückkehr aus dem Exil und seinen aus der Exilerfahrung entspringenden Wunsch, dazuzugehören, „zu euch zu gehören“. „Ich bin mit euch in die Schule gegangen, ich habe mit euch im Stadtpark und Volksgarten Drittabschlagen gespielt, ich habe mich mit Zehntausenden im Stadion heisergebrüllt, dann ist eine neue Leitung gekommen, hat gesagt, daß das Ganze nicht gilt und daß ich nicht zu euch gehöre. Das hat man so eindringlich und nachdrücklich gesagt, daß die, die's überlebt haben, zuerst dran geglaubt haben und dann wirklich angefangen haben, anders zu werden. Ich bin nicht wie sie. Darf ich denn nicht sein wie ihr?“ Was die Heldin des Romans darauf antwortet, auf Zugehörigkeit und Fremdheit bestehend, könnte in der Tat von der Autorin Bachmann stammen: „Ich will genau das von dir, was du selbst in dir verdrängst.“

„Das, was du selbst in dir verdrängst“, ist programmatisch Ausgangspunkt ihres zwanzig Jahre nach der „Unvollendeten Symphonie“ erschienenen Romans „Malina“. In dieser „imaginären Autobiographie“ schreibt Bachmann aus einer weiblichen Erzählposition, die sie als „lange verschüttete Erinnerung“ wiedergefunden hatte. „Malina“ ist nicht, wie neuerdings behauptet wurde, die Antwort Bachmanns auf den Roman eines anderen Geliebten – auf Max Frischs „Gantenbein“ –, sondern auf Weigels „Symphonie“. „Ich habe mich oft gefragt“, erklärte Bachmann zur Entstehungsgeschichte von „Malina“, „warum ich so oft das männliche Ich nehmen mußte.“ Sie wird sich auch gefragt haben, warum Hans Weigel einmal das weibliche Ich nehmen mußte – zumal es ihr eigenes war.

„Der Ort ist Wien. Und die Zeit ist Heute.“ So beginnt die „Unvollendete Symphonie“, und diese Angaben leiten auch „Malina“ ein. Der Erinnerungsfaden wird jeweils in einem Haus Nr. 6 aufgenommen, und wie das Ich der „Symphonie“ „alles erzählen will, was gewesen ist“, gibt es auch in „Malina“ zunächst „nichts mehr, was mich in meiner Erinnerung stört.“ Dann aber vollzieht sich eine entscheidende Wende. War es Weigels Projekt, in seinem Schlüsselroman alles Vergangene zu bergen, so heißt es in „Malina“: „Ich will nicht erzählen, es stört mich alles in meiner Erinnerung.“ In „Malina“ gibt es keine alles bergende Erinnerung, sondern eine einzige Störung, die das Ich rettungslos zerstört hinterläßt. Aber: Auch in Weigels Roman „Symphonie“ scheint mit dem Schlußsatz die Rettung mißlungen: „In unseren Gräbern leben wir.“ In „Malina“ wird diese Metapher vom Ich am eigenen Leib erlebt: Sie verschwindet in der Wand, „aus der nie mehr etwas laut werden kann.“ Die Schrift ist in beiden Texten zum Grab der Geschichte geworden, in der die weiblichen Figuren als Verstummte lebendig begraben sind. Nur: Wer sargt eigentlich wen ein?

Weigel überantwortet das Erzählen der weiblichen Figur, welche die Last der Erinnerung übernimmt und anstelle des Autors und seines Helden auf der historisch entstandenen Differenz und Fremdheit besteht. Der Wunsch, „diese Zeilen ins Gestern und mich ins Morgen zu entlassen“, von der Vergangenheit befreit weitersprechen zu können, braucht als Preis ein Medium, das die Erinnerung an sich bindet. In der Imagination einer erzählenden „Heldin“, hinter der sich die Schriftstellerin Bachmann verbirgt, wird das Geschriebene zu einem fremden Text. Das befremdliche Erzählverfahren ist Weigels Angst geschuldet, daß angesichts der „Gegenwart und jüngsten Vergangenheit“, „ihren Erlebnissen von besonderer Intensität mancher Autor seinen Gegenstand nicht zu wählen vermag, sondern von ihm ergriffen und überwältigt wird. Ist dies der Fall, wird er gezwungen sein, sich die erforderliche Distanz auf irgendeine Weise zu schaffen.“ Die paradoxe Lösung der „Symphonie“ liegt in der weiblichen Erzählposition, die den männlichen Autor vor sich selbst rettet.

Das Nicht-mehr-laut-werden- Können mit dem Bachmanns „Malina“ endet, verdankt sich der Annahme des „in dir selbst Verdrängten“. Bachmann betreibt die Rekonstruktion von Ich-Zerstörungen als erlittene „Todesarten“ (so der Titel des Romanzyklus, der mit „Malina“ beginnt). Damit einher geht die Dekonstruktion der männlichen Figur Malina, die als Repräsentant männlicher Schreibökonomie „ganz Distanz“ ist. Das weibliche Ich wird in dieser Ökonomie zwar als erlebendes Ich gebraucht, am Ende aber wird es aber der Überlebens-Kunst geopfert: „Es ist Malina, der mich nicht erzählen läßt.“

Bachmann sei von seinem Roman „angetan“ gewesen, betont Weigel. Warum dann die späte Bloßstellung einer Autorin, die gerade auch in der Literatur auf Diskrektion bestand? Das „um so lachendere Behagen“ Weigels bei der Schlüsselübergabe an die Leserschaft gilt der „seither zur Kultfigur“ avancierten Bachmann, die Weigel in „sein Geschöpf“ zurückverwandelt hat. Die alte Anekdote über „den Bachmann“ im neuen Nachwort verrät den Wiederholungszwang einer undurchschauten „dunklen Geschichte“: Solange die „Kollegin“ für Weigel „der Bachmann“ bleibt, ist sie als Frau für seine Textstrategie einsetzbar. Transformiert die Frau die ihr zugewiesene weibliche Position als stummer Entsorgungsplatz für männliche Geschichtsabfälle – wie in Bachmanns „Malina“ geschehen – zum Ort der Suche nach sich selbst, beginnt hingegen das Fundament männlicher Kunstproduktion zu bröckeln: „Mir scheint dann“, vermutet das Ich über Malina, „daß seine Ruhe davon rührt, weil ich ein zu unwichtiges und bekanntes Ich für ihn bin, als hätte er mich ausgeschieden, einen Abfall“.

Hans Weigel: „Unvollendete Symphonie“, Roman, Verlag Styria, 1992, Graz Wien Köln. 200 Seiten, geb., 29.80 DM.

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