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„Ich bin nicht mehr der gleiche Mensch“

■ Zwei-Jahres-Zwischenbilanz: Interview mit der grünen Ampel-Gegnerin Karoline Linnert

Die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Karoline Linnert (35) war während der Koalitionsverhandlungen prominenteste Gegnerin der Ampel. In den vergangenen zwei Jahre war sie Vorsitzende der Sozialdeputation und Mitglied des grünen Fraktionsvorstandes.

taz: Hat die Ampel im Sozialbereich etwas erreicht, was es ohne sie nicht gegeben hätte?

Karoline Linnert: Bei allem Frust und bei allem Ärger, den ich natürlich auch habe, gibt es jetzt in Bremen ein in der Bundesrepublik einmaliges Programm zur Unterbringung von Wohnungslosen. Es sind über zwei Millionen Mark bereitgestellt worden, um 500 Belegrechte im sozialen Wohnungsbau anzukaufen. Und das hängt schon ziemlich eng mit der grünen Regierungsbeteiligung zusammen.

Einen anderen Erfolg siehst Du im Sozialbereich nicht?

Das ist eine schwierige Frage. Es ist auf jeden Fall der Bereich, in dem ich am deutlichsten einen Erfolg der grünen Regierungsbeteiligung sehe.

Was war die schlimmste Niederlage der Grünen in der Ampel?

Ich persönlich finde, die gesellschafts- und sozialpolitisch schlimmste Niederlage ist die Unterbringungspolitik bei Asylbewerbern. Und gleich danach kommt die Entscheidung, den Drogenstrich zu zerschlagen. Es ist zwar mehr als gar nichts im Drogenbereich passiert, aber man muß zugeben, daß das unzureichend ist. Es ist eben einfacher und billiger, mit Repression zu arbeiten, als mühsam soziale Angebote zu machen.

Sozialpolitik ist fast immer mit zusätzlichen Kosten verbunden. Wäre ohne die Ampel weniger Geld in den Sozialbereich geflossen?

Das ist Spekulation. Aber immerhin sind in diesem Jahr zum ersten Mal bei einer Kürzungsrunde die sogenannten weichen Politikbereiche Bildung, Soziales, Jugend und Kultur weniger geschröpft worden als die harten Politikbereiche. Und das hatte eine ganze Menge mit dem grünen Einfluß zu tun. Wenn man sich aber das Sanierungsprogramm anguckt, dann stützt das vor allem die wirtschaftsfördern

Herbst 1991: Karoline Linnert redet auf der entscheidenden grünen Mitgliederversammlung gegen die AmpelkoalitionFoto: Archiv

den Politikbereiche.

Gibt es denn Bereiche, in denen die Situation heute ohne eine grüne Regierungsbeteiligung besser wäre?

Ich hatte die Befürchtung, daß es das gesellschaftliche Klima verändert, wenn Opposition nur noch von rechts kommt. Und darüber müßte man mal richtig diskutieren, ob da nicht auch was dran ist.

Welche Opposition hat sich denn von rechts formiert?

Ein Beispiel: Es ist doch ein Unterschied, ob die Grünen versuchen müssen, in der Regierung Unterkünfte für Asylbewerber durchzusetzen, oder ob man sich als linke Opposition in dieser Frage hinstellen kann und ganz klar und ohne wenn und aber Menschenrechte für diese Gruppe einklagen kann. Wir haben jetzt die erste Rolle gespielt und die andere nicht. Das macht einen Unterschied in der Stadt.

Aber es hat sich trotzdem gelohnt?

Ja, wenn ich nicht glauben würde, daß sich zwei Jahre Arbeit gelohnt hätten, dann würde ich aufhören. Nur, das Problem ist Folgendes: Wenn wir nicht in die Ampel gegangen wären, dann hätte ich in den zwei Jahren auch etwas gemacht, von dem ich denken würde, es hätte sich gelohnt.

Und das wäre für die Stadt bes

hier bitte das

Foto mit der

Frau am Mikrophon

ser gewesen?

Ich glaube, daß wir die Bedeutung einer Opposition für die politische Kultur immer unterschätzt haben. Wie entsetzlich wenig Protest gibt es denn im Moment im sozialen Bereich in Bremen?

Ist das Eure Schuld?

Manchmal denke ich, wenn mir gerade wieder fürchterlich stinkt, wie wenig passiert, daß es auch ein bißchen unsere Schuld ist, weil die Energie von ein paar Leuten und mir jetzt in etwas anderes geht. Die Grünen fehlen sicher, außerparlamentarische Opposition mit Kompetenz, Knowhow, Mitteln usw. zu unterstützen.

Eigentlich ist das doch nicht die Aufgabe einer Partei, außerparlamentarische Opposition zu organisieren und anzuführen.

Nein, aber Teil davon sollte sie schon sein.

Welche Forderung hast Du Dir denn verkniffen, die Du als Oppositionspolitikerin aufgestellt hättest?

So ist das gar nicht. Ich habe meine Zeit mit etwas anderem verbracht. Ich habe mich durch Senatsunterlagen gewühlt, Du hast mit ganz anderen Leuten zu tun, der ganze Arbeitsalltag ändert sich. Und bestimmte Sachen kann ich nicht mehr so deutlich sagen, weil Koalitionspartner das als Verstoß gegen die Bündnistreue empfinden. Mir ist ein offener, ehrlicher Stil lieber.

Ist Dein Schmerzpunkt beim Auf-die- Zunge-Beißen einmal überschritten worden?

Die Finanzpolitik muß sich mehr mit Mächtigen anlegen. Die Bremer Sparpolitik krankt immernoch daran, durch pauschales Streichen Spareffekte zu erbeuten. Wir hatten zwei Jahre Quälerei mit dem Finanzressort in den Fragen Landespflegegeld, Behinderten- Fahrdient, Kindergarten-Gebühren, Verteilung von Wettmitteln. Nirgendwo wird mit soviel Energie ein so kleines Einsparvolumen verfolgt. Gleichzeitig werden zur Umsetzung des Sanierungsprogramms beim Wirtschaftssenator und in der SKP neue Stellen geschaffen.

Wenn gesagt wird, daß Mitnahmeeffekte sinnvoll sind, weil sie das wirtschaftsfreundliche Klima in der Stadt fördern, dann muß man sich fragen, warum ein sozialfreundliches Klima in der Stadt nicht auch als Standortfaktor Platz greift. So eine ungeheuerliche Geldverschwendung wie jetzt am Bahnhofs-Nordausgang ist mir im Sozialbereich noch nicht untergekommen. So etwas wäre in der Opposition leichter zu thematisieren.

Würdest Du Dich heute wieder gegen eine Koalitionsbeteiligung der Grünen entscheiden?

Diese Frage kann keiner beantworten. Ich bin nicht mehr der Mensch von vor zwei Jahren. Es tut mir nicht leid, was ich damals gesagt habe. Und auch aus heutiger Sicht war es richtig und konsequent. Die meisten Gedanken, die ich damals dazu hatte, finde ich noch immer richtig.

Fragen: Dirk Asendorpf

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