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Der innere Monolog der Schaumzuckermaus

■ Junge Literatur in komplizierten Konfliktdreiecken: Die 11. Berliner Literaturnacht im Statthaus Böcklerpark

In den Biographien junger Autorinnen und Autoren grassiert eine Mode. Was, um Hermeneutik Willen, trägt die Information, jemand habe als Platzanweiserin, Nachtportier oder Wagenschieber seine Tinte verdient, zum besseren Verständnis eines Textes bei? Da scheint die Methode Ziska Riemanns konsequenter, die im Programmheft mit durchgängigen Nonsens-Angaben (geboren in der Ziskei... paramilitärische Jugenderziehung... Übertritt zum shindulhuastekischen Glauben usw.) die prätentiöse Leier ihrer KollegInnen parodiert.

Die erst zwanzigjährige Ziska Riemann, die als Comic-Zeichnerin zuletzt zwei Bücher zusammen mit Gerhard Seyfried veröffentlichte, hatte den fünf übrigen Kombattanten vor allem eines voraus: Sie stand nicht über oder unter, sondern mit Leib und Seele in ihren Texten. Oder, weniger wäßrig formuliert: Hier hatte man das Gefühl, daß jemand nicht nur sich selbst, sondern auch seine Sprache und Geschichten ernst nahm. So ernst, daß sie ihren Vortrag über das selbstverlorene Mädchen, das sich aus Liebe zu einer Krankenschwester beide Beine bricht, nur um in deren Nähe zu sein, mehrmals wegen eigener Lachanfälle unterbrechen mußte.

Auf die Lacher der etwa sechzig Zuhörer im halbleeren Saal des Statthauses Böcklerpark hatte es Viktor Pavel abgesehen. Angekündigt als ein Mann des schwarzen Humors, dessen Karriereleiter steil nach oben zeige, präsentierte er seine recht flauen Alltagssatiren wie einer, der bereits felsenfest auf deren oberster Sprosse thront. Immerhin blickt Pavel auf eine Veröffentlichung im Maas-Verlag und ein dem Sender Freies Berlin verkauftes Hörspiel zurück. Aber die generöse Art, mit der er seine Prosaschnipsel unters Volk streute, ließ den notwendigen Biß für Weiteres vermissen. Auch seine Antwort auf die Frage der Moderatorin, was er denn als Highlight seiner bisherigen Dichterlaufbahn ansehe, zeugt nicht gerade von gebührlicher Selbsttarierung und literarischer Tiefenschärfe: Pavel hält es schon für eine Leistung, daß er sich „noch nicht umgebracht“ hat.

Folgt man diesem Abend der jungen Literatur, so scheint die Zeit des experimentellen, sprachkritischen Schreibens vorbei. Nicht die Auseinandersetzung mit Material oder Form, sondern die Inhalte und die Erzählperspektive rücken wieder in den Vordergrund. So las der 1966 geborene Cuxhavener Knud Kohr die Geschichte eines Sexualmordes an einem kleinen Mädchen anfangs aus der Sicht des Lockvogels, einer aus der Brusttasche des Mörders lugenden Schaumzuckermaus. Virtuos im Einsatz verschiedener Stimmen – der „unschuldigen“ Maus, des hechelnden Triebtäters – entwickelte Kohr ein Stück Schauerprosa, das vom Gegensatz zwischen dem blutigen Tathergang und der völligen Verkennung des Geschehens durch die Erzählermaus lebte.

Versuche, aktuelle Texte literarisch „einzuordnen“, sind selten sinnvoll – hier scheitern sie bereits an den noch recht kargen Bibliographien der einzelnen Nachwuchsautoren. Allen eigen ist immerhin der Versuch, dem spröden Alltag einige schrille Augenblicke und Blickwinkel abzuringen, sich dabei aber schon präventiv gegen eine Überfrachtung mit Sinn und Interpretation zu wehren. In der Einführung zu Knud Kohrs Prosaband „Die Beichte des pflichtversicherten Bohemiens“ klingt das so: „Er steht real-konkret mitten in der ästhetischen Signifikanz und zerschlägt dabei in kritischer Manier jenes Scheinwissen, das die im Konfliktdreieck Mutter – Kapital – Vater stehenden, deformierten Individuen heute noch bei der Stange hält.“ That's it! Bernd Imgrund

Die Texte der meisten Autoren erschienen im Verlag Das Labor. Kontakt: Lars Neuwöhner, Arndtstraße 20, 10965 Berlin, Tel.: 692 55 33.

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