piwik no script img

Rußlands Parteien formieren sich neu

■ Präsident Jelzin verbietet sechs Parteien die Teilnahme an den Wahlen

Moskau (dpa/taz) – Der russische Präsident Boris Jelzin hat am Dienstag sechs in den Oktober- Putsch verwickelten Parteien die Teilnahme an den Wahlen am 12. Dezember verboten. Dazu zählen die „rot-braune“ Nationale Rettungsfront, die Kommunistische Arbeiterpartei, der Offiziersbund, das Schild der Offiziere, die Russische Nationale Einheit und die Russische Kommunistische Jugendunion. Wieder zugelassen wurde dagegen zehn andere Parteien, die Jelzin nach dem Putsch zunächst ebenfalls suspendierte. Unter ihnen befinden sich die von Ex-Vizepräsident Alexander Ruzkoi mitbegründete Volkspartei Freies Rußland sowie die Kommunistische Partei Rußlands KPR, mit 600.000 Mitgliedern die stärkste Partei der Föderation. Nicht betroffen von dem Verbot, zu kandidieren, sind außerdem einzelne Mitglieder der sechs Organisationen, sofern sie sich nicht an dem Putsch beteiligt haben.

In dem am Dienstag veröffentlichten Verbots-Dekret wirft Jelzin den Parteien, die an der Organisation des bewaffneten Aufstandes beteiligt gewesen sein sollen, vor, daß sie die Macht in Rußland ergreifen wollten. „Die Parteien, die sich als Opposition bezeichnen, haben sich aus dem demokratischen System ausgeschlossen, als sie sich in Terrorgruppen verwandelten.“

Schon kurz nach der Wiederzulassung der KPR äußerte sich Parteichef Gennadi Sjuganow: „Was die Wahlen anbelangt, bin ich jetzt natürlich viel optimistischer. Es gibt eine Menge guter Leute, mit denen wir nach der Verbotsaufhebung zusammenarbeiten können.“ „Ermutigt“ werde er außerdem durch die Zersplitterung der Jelzin-Anhänger.

Tatsächlich haben die engsten Mitarbeiter des Präsidenten bisher bereits zwei Wahlbündnisse gebildet. Neben der „Wahl Rußlands“, die sich unter Radikalrefomer Jegor Gaidar am Wochenende formierte, hat der für Nationalitätenfragen zuständige Vizeministerpräsident Sergej Schachrai eine eigene Partei gegründet. Die „Russische Einheit und Eintracht“ will ihre Arbeit vor allem auf die Interessen der Provinzen konzentrieren. Als Spitzenkandidat soll Regierungschef Viktor Tschernomyrdin nominiert werden.

Für eine Teilnahme an den Wahlen entschließen sich auch immer mehr Parteien der Linken, so unter anderem die „Sozialistische Partei der Werktätigen“. Zwar – so hieß es auf einer Delegiertenkonferenz Anfang der Woche – sei nicht zu erwarten, daß der Wahlkampf „fair“ sein werde, doch wäre es die moralische Pflicht, die Interessen der Werktätigen zu vertreten. Die Organisation, die von dem früheren Dissidenten Roy Medwedjew geleitet wird, tritt für eine „Gleichberechtigung verschiedener Eigentumsformen“ ein. Doch während die Beteiligung an der Wahl nur noch von wenigen Delegierten der Konferenz kritisiert wurde, gab es heftige Diskussionen über die Bildung eines Wahlblocks, an dem sich neben Gewerkschaften und Frauengruppen auch die „Union der russischen Wiedergeburt“ beteiligen soll. Diese „patriotische Organisation“ arbeitet mit der orthodoxen Kirche zusammen, unter ihren Mitgliedern finden sich zahlreiche Anhänger der Monarchie. Mit dem Argument, daß schließlich auch in Schweden eine konstitutionelle Monarchie mit demokratischem Sozialismus verbunden sei, entschied man sich schließlich für eine Zusammenarbeit. Unter den Kandidaten der Partei finden sich außerdem Mitglieder der noch nicht registrierten Arbeiterpartei, unter ihnen Boris Kargalicky.

Andere wichtige Politiker der Opposition haben dagegen eine neue Partei, die Russische Volksunion (RVU), gegründet. Sie benannte rund 70 Kandidaten für ihre Wahlliste, die von Sergej Baburin angeführt wird. Baburin hatte den Konfrontationskurs des Obersten Sowjets gegen Jelzin maßgeblich unterstützt. Nach Angaben der RVU ist sie bereits in 30 der 89 Regionen vertreten. Und auch der frühere Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Sorkin, hat bereits eine Partei gefunden. Der Richter, der in letzter Zeit auf Seiten des Parlaments gestanden hatte, kandidiert für die Russische Christliche Demokratische Bewegung. her

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen