: „Theater muß anstrengend sein!“
■ Mit der ersten Premiere, „Kritik in Festung“ von Rainald Goetz, beginnt heute abend die erste, mit großer Spannung erwartete Spielzeit des neuen Intendanten Frank Baumbauer am Deutschen Schauspielhaus Von Till Briegleb
taz: Sie eröffnen Ihre erste Spielzeit mit einem ausgesucht schwierigen Stück, Rainald Goetzs „Kritik in Festung“ und auch ihr restlicher Spielplan ist dominiert von kompromißlosen Stückeschreibern wie Werner Schwab, Achternbusch, Hans Henny Jahnn oder Tony Kushner. Wenn man sich erinnert, daß das Schauspielhaus das größte Sprechtheater Deutschlands ist und die Zuschauerzahlen 1992 in Hamburg um 10 Prozent zurückgegangen sind, frage ich mich, können Sie überhaupt noch schlafen?
Baumbauer: Sie implizieren mit dieser Frage, daß das Maß aller Dinge ist, das Haus voll zu kriegen. Ich glaube, daß all das zuerst eine Frage der Glaubwürdigkeit sein wird. Das sind spannende Vorhaben, spannende Stücke und ich habe versucht, sie mit Interpreten zu besetzen, von deren Kreativität und Energie ich überzeugt bin, und zwar auch bei schwierigen Texten. Ich hoffe, daß durch die Unmittelbarkeit und Sinnlichkeit der Interpretationen auch die Hamburger einen Zugang finden. Das muß nicht der schnelle Erfolg sein, aber manches kann vielleicht haltbarer sein, was man sich schwer erarbeitet.
taz: Dennoch ist Ihr Risiko bei diesem Weg unheimlich hoch?
Baumbauer: Was anderes soll man tun? Ich verstehe die Aufgabe eines subventionierten Theaters darin, daß es die Risiken fördert. Nur die Schere zwischen Kunst und Kommerz zu machen, das kann man schon als mittelmäßiger Koch.
taz: Was sind die „Essentials“ des Frank Baumbauer für seine fünfjährige Intendanz?
Baumbauer: Es gibt keine Eckpunkte, wenn die nicht erfüllt werden, dann gehe ich weg. Das Wesentliche, an dem ich jetzt zu arbeiten begonnen habe, ist, daß ich aus den Künstlern und Künstlerinnen, die ich hier zusammengeführt habe, ein Zentrum forme. Das kann eine Weile dauern, aber wichtig ist, daß wir gemeinsam suchen und uns nicht mehr vereinzeln oder entfremden. Es ist das Entscheidende, diesem Theater eine Identität zu geben, die es nicht beliebig macht.
taz: Gibt es konzeptionelle Linien, etwa der Schwerpunkt schwieriger zeitgenössischer Autoren, die Sie selbst dann nicht opfern werden, wenn Sie im ersten Jahr damit keinen Erfolg haben sollten? Anders gefragt: Was ist der Wesenskern Ihrer Arbeit, auf den Sie nicht verzichten werden?
Baumbauer: Erst einmal ganz einfach Qualität. Wenn wir die Aufführungen, die wir jetzt vorbereiten in dem qualitativ gewollten und vertretbaren Sinne vorstellen, dann kann ich den Kopf aufrecht tragen. Dann können die Leute sich auch daran reiben. Ein Essential ist, keinen Schlingerkurs zu fahren. Das zweite ist Neugierde. Auf Dauer wollen wir erreichen, daß die Hamburgerinnen und Hamburger uns einen Kredit einräumen für Texte, die sie noch nicht kennen. Die Unverwechselbarkeit von Theater würde ich gerne fördern.
taz: Ich empfinde es im Theater momentan so, daß die meisten Regisseure und Intendanten den Diskurs vermeiden und das Kulinarische inszenieren. Das weltabgewandte Theater-Idyll ist weiter auf dem Vormarsch. Wie verstehen Sie Ihre Sendung?
Anstrengung und politische Aufklärung
Baumbauer: Die hat sicherlich etwas mit Aufklärung zu tun. Ich sage immer, Theater ist Anstrengung und muß auch anstrengend sein, das ist viel regenerierender für all das Abgestorbene, was so täglich auf uns eindröhnt. Davon bin ich sehr, sehr überzeugt, daß wir mit dem Programm und der Art wie wir erzählen, die Menschen in eine Animation bringen und im inhaltlichen Sinne betrachte ich das als politische Aufklärung.
taz: Das Wort Anstrengung gefällt mir, denn ich persönlich habe fast schon eines Sehnsucht nach Anstrengung im Theater.
Baumbauer: Das haben jetzt langsam aber viele. Wir haben uns an die Ränder des öffentlichen Interesses spülen lassen, weil wir immer versucht haben, den Spagat zwischen Kunst und Kommerz aufrecht zu erhalten. Hier können wir eindeutiger werden und das muß überhaupt nichts mit mangelnder Unterhaltung zu tun haben.
taz: Gibt es thematische Linien, die durch den Spielplan führen. Ich denke hier etwa an das Thema Krieg, das kontinuierlich auftaucht.
Baumbauern: Ich würde es erst einmal verneinen. Natürlich hat vieles mit Verlusten zu tun, Verlusten von Werten. Das wird man bei „Kritik in Festung“ ebenso merken können, wie bei „Wolken.Heim.“, beim „Zigeunerbaron“ ebenso wie bei „Angels in America“, das sind schon Stücke, wo wir Ängste spüren und nach Wegen suchen, diese Ängste in unserer heutigen Zeit zu mindern und zu mildern. Aber es war nicht so, daß wir gesagt haben, wir wollen uns da jetzt drauf konzentrieren.
Grundvertrauen und UnverwechseIbarkeit
Die rote Linie ist vielleicht Gegenstand unseres Denkens in dieser Zeit. Deswegen hat der Spielplan eine hohe Konsequenz und ich glaube, daß er ein für die jetzige Zeit notwendiger ist. Ein, wenn sie so wollen, auch ökologisch klärender, der reinigen könnte und Haltung bezieht. Und das ist meiner Meinung nach im Moment auch die einzige Chance für ein großes Stadttheater.
taz: Inwieweit reicht Ihr Wirken hier im Haus. Gehen Sie bis in die einzelne Regie hinein oder sehen Sie sich mehr als der Übergeist, der die Kräfte zusammenführt und sie dann wirken läßt?
Baumbauer: Ein Großteil meiner Arbeit besteht darin, die Konstellation der Menschen zu finden, die an diesem Hause arbeiten und sich an einzelnen Arbeiten zu Ensembles treffen. Das ist für mich eine der kreativsten Situationen überhaupt. Danach ziehe ich mich zurück und bin natürlich auf eine selbstverständliche und sehr kollegiale Art und Weise informiert, wo die Reise hingeht. Nur in dem Fall von abstrusen Alarmmeldungen oder Dauerkrisen kümmere ich mich vielleicht in dem einen oder anderen Fall um eine Produktion, dränge mich aber nicht auf. Wir brauchen hier ein Grundvertrauen. Ich sehe das nicht romantisch, und auch nicht als Happy Family oder als die falschen Umarmungen, die man so hat. Aber in diesem Vertrauen, da sehe ich neben der künstlerischen Arbeit ein so wesentliches Element unserer Theaterarbeit, das kann ich Ihnen gar nicht sagen.
taz: Die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion von Theater stellt sich momentan doch ziemlich krass. Wie definieren sie die Rolle, den Nutzen, den Theater heute noch für die Gesellschaft hat?
Baumbauer: Ich würde diesen Beruf wahrscheinlich überhaupt nicht ausüben, wenn ich nicht ganz fest daran glauben würde, daß die Theater wie auch andere Kulturinstitute in den nächsten 10-15 Jahren einen entscheidenden Beitrag in unserer Gesellschaft leisten müssen. Ich spüre es an mir selbst, wie das Leben immer mehr gefährdet ist durch mehr Oberflächlichkeit, durch die Vereinzelung von Menschen, die wenig Halt haben, die dann mehr und mehr gesteuert werden von einem Machtmonopol, das dieser Staat in einer politischen und logischerweise auch in einer kulturellen Prägung hat. Da haben wir eine ganz dringliche Aufgabe, das Individuum wieder zu erreichen und Sachen, die gefährdet sind, zu verkümmern, wieder zu reaktivieren, neu zu durchbluten. Die Theater müssen etwas dafür tun, von den Rändern zurück ins Zentrum zu kommen. Und wenn man in diesem Haus mit seinen 1400 Plätzen mit einem engagierten Programm jeden Abend 700-800 Menschen erreicht, das wäre doch etwas.
Kein Gramm Speck zuviel
Deswegen finde ich das System der subventionierten Kultur auch so wesentlich. Und da geht es nicht nur um das Geld. Ich kann nur sagen, für das Institut an dem ich bin, werde ich dafür sorgen, daß das Geld, das wir vom Staat bekommen, so optimal, wie es irgend geht, eingesetzt wird, daß da kein Gramm Speck zuviel dran ist. Aber ich kann es auch nicht vertreten, daß man sagt, jetzt macht es noch kleiner und noch kleiner und noch kleiner. Ich verstehe es ja, daß wir in einer Situation, wo es sehr vielen Menschen in diesem Land sehr schlecht geht, uns beteiligen müssen. Aber man kann jetzt nicht Schadensbegrenzung an der und der Stelle machen und woanders einen größeren verursachen.
taz: Haben Sie das niedrige Gagenniveau ihrer Baseler Amtszeit mit nach Hamburg genommen?
Baumbauer: Nein, das geht ja nicht. Es gibt die Größe einer Stadt, eines Hauses und auch von Marktwerten. Aber wofür ich mich gesorgt habe und auch weiter sorgen werde ist, daß die Gagendiskrepanzen zwischen einer Höchst- und einer Anfangsgage nicht zynisch sind, wie das in manchen Häusern eben ist. Ich glaube, daß das Haus sehr genau und ordentlich geführt werden wird und ich jedem auch ins Gesicht sehen kann. Gagen-Absurditäten gibt es hier nicht. Da hätte ich dann wirklich schlaflose Nächte. Diese Regisseure, die an den Theatern überall ihre Höchstgagen abkassieren und gar nicht schnell genug rumreisen können, arbeiten hier nicht und werden hier nicht arbeiten.
taz: Sehen Sie strukturell Möglichkeiten, im Theater Geld einzusparen?
Baumbauer: Ich bin gegen diese Reformen von außen und gegen diese hysterischen Strukturdebatte. Dort wo ich sehe, hier kann man etwas effektiver machen, da mache ich es. Es nützen doch viele Intendanten-Kollegen die Möglichkeiten, die sie haben, überhaupt nicht aus. Und wenn es Schwierigkeiten gibt, dann geht es nicht von außen. Gemeinsam müssen wir dann für eine optimale innere Situation sorgen. Wenn wir aber aus den Theatern heraus so viele Bruchstellen anbieten, dann setzen sich die Bakterien an und die sprengen den stärksten Stein.
Glück, Kraft und Identität
taz:Wollen Sie junges Publikum ins Theater holen?
Baumbauer: Das wird hoffentlich automatisch sein. In Basel haben wir das hinbekommen, daß die jungen Leute nur so durchs Haus gefetzt sind. Ich weiß nicht, ob man hier dafür jetzt Flipperautomaten im Foyer aufstellen muß oder die Einstürzenden Neubauten auf die Bühne bringen muß? Ich habe keine Ahnung. Dazu bin ich im Moment einfach noch zu weit weg von den Menschen hier. Da muß ich mich langsam ranpirschen.
taz: Was zeichnete Ihren persönlichen Lebensweg aus?
Baumbauer: Ich habe viel Glück gehabt, daß in Momenten, wo ich noch in einer Arbeit gesteckt habe, die Weichenstellung gekommen ist für eine andere Arbeit. Es gab einen wirklichen Aufbruch nach meiner Münchener Intendanz, auf die ich nach wie vor mit Freude zurück blicke. Mit der Entscheidung, nach Basel zu gehen, mußte ich alles neu erfinden. Die Theaterform, die ich dort, wiederum mit Glück, gefunden habe, gibt mir große Kraft, auch für die Arbeit hier. Ich bin eigentlich kein Reisender, auch wenn ich jetzt mit 48 Jahren schon meine dritte Intendanz habe. Ich erschrecke da selber vor, denn ich bin eigentlich eine sehr bodenständiger Mensch. Insofern bin ich hier auch noch nicht so richtig angekommen. Ich habe mir zwar schon einmal ein Bild zu Hause an die Wand gehängt, aber in der Seele bin ich noch nicht richtig da.
taz: Für bodenständige Menschen war das Deutsche Schauspielhaus nicht immer das beste Pflaster.
Baumbauer: Ich finde, die Hamburger müssen mich jetzt hier einfach mal mögen.
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