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War Sisyphus ein Linker?

■ Ein Sammelband über „Prognosen zur Linken“ nach 1989

Ein Rotbuch zum Thema „Was ist links?“, herausgebracht im Jahre 1973, wäre wahrscheinlich ein kleines Kompendium von Texten zum Verhältnis von intellektueller Avantgarde und proletarischer Masse, zur Entwicklung der Lohnarbeit und zu den Aufgaben des Internationalismus geworden. Arbeitstitel: „Perspektiven sozialistischer Politik“.

Das gleiche Buch, zehn Jahre später bearbeitet, hätte sich mit den Konsequenzen der Umweltzerstörung und der Wachstumsgrenzen für eine systemumwälzende Politik befaßt oder sich den „zwei Kulturen“, der Zweidrittelgesellschaft und den Hausbesetzern gewidmet. 1993 lautet der Titel „What's left?“. Der umfassende Anspruch wie der umwälzende Impetus der früheren Jahre sind perdu. Der existentielle Duktus, den die Doppeldeutigkeit der Frage in sich birgt, ist die zeitgemäße Programmatik. Er ist zugleich Ausdruck einer Kooperation, die in dieser Form wohl erst nach der Wende möglich war. Der überwiegende Teil der Autoren, die in dem vorliegenden Buch „Prognosen zur Linken“ formulieren, tat dies bereits in einer verdienstvollen Reihe des Feuilletons der FAZ.

Mit der Anerkennung, die nach dessen Niederlage einem waffengleichen Gegner gezollt wird, konstatiert FAZ-Redakteur Henning Ritter, daß den Deutschen beim Zusammenbruch des Sozialismus „ihr bedeutendster ideeller Anteil am Weltgeschehen ausgelöscht wurde“. Was ihrem Missionsbedürfnis bliebe, sei „allenfalls jene besonders sozialverträgliche Spielart der Marktwirtschaft, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten“. Mit Verwunderung rätselt der Konservative darüber, daß diejenigen, die immer gegen „das Bestehende“ angegangen sind, angesichts der Veränderungen im Osten von ihrer Tradition, dem „Kult des sozialen Wandels“ lassen. Statt dessen macht er „die beschwörende Geste des Bewahrens von Lebensverhältnissen gemütvoller Weltabgewandtheit aus“. Der Konservative in der Rolle des Fortschrittlers, der mit der seiner Kritik zugrundeliegenden Dichotomie zugleich die eigenen Befürchtungen transportiert: What's left? – Prognosen zur Rechten. Daß diese „Jenseits von Links und Rechts“ liegen, versucht Ritters Kollege Konrad Adam mit einem Rekurs auf sattsam bekannte Totalitarismustheoreme zu belegen. Adam, aber auch die anderen Autoren, die, wie der Chicagoer Politologe Stephen Holmes, von einem Ende des Links-rechts-Antagonismus ausgehen, belegen damit allenfalls, was Antje Vollmer als die „schiefe Bahn schneller Erfolge und des triumphalen Pathos“ charakterisiert, dem, wie die Linke in den 70er und 80er Jahren, nun „die Protagonisten der konservativen Hegemonie“ erliegen. Doch außer dem erfahrungsgeschwängerten Rat, daß das schiefgehen könne, weiß auch sie nicht „den Code, die große Stummheit zu beenden“. Auf ihre Frage, was von dem kulturellen Gesamtentwurf, den die Linke darstelle, bleibe, werden in dem Buch eingegrenzte Antworten gegeben. Keiner der Autoren hält den universellen Anspruch der marxistischen Denktradition aufrecht. Während der New Yorker Historiker Tony Judt die Abwehr diktatorischer Entwicklungen auf Basis eines „moralischen Diskurses“ ins Zentrum linken Handelns rücken will, erblickt der Moskauer Philosoph Boris Groys in der Verteidigung der Differenz, der Singularität, wie sie in der intellektuellen Bewegung der „political correctness“ zum Ausdruck kommt, die eigentliche Linke von heute.

Der amerikanischen Gesellschaft entlehnt ist auch das Plädoyer des Sozialwissenschaftlers Michael Walzer für eine „kommunitaristische Linke“. Er beruft sich dabei auf Gramscis Entwurf einer „nationalen Volkspolitik“, doch dürfte die Forderung, „sich im Namen traditioneller Werte und einer Idee von Gemeinwohl an die ganze Nation“ zu wenden, bei den traditionellen Linken diesseits des Atlantiks vorläufig noch auf Skepsis stoßen. Ihrer Denktradition entspricht eher der Turiner Philosoph Norberto Bobbio, der an die Debatten der frühen 80er anknüpft und atomare Bedrohung, Umweltzerstörung und Ressourcenknappheit als die anstehenden Probleme definiert und die Aufmerksamkeit auf die „Gegentendenzen“ richtet, die in der nationalen und der religiösen Frage liegen. Auf diese habe die Linke bislang keine befriedigende Antwort gefunden, war sie doch immer internationalistisch und antiklerikal. Dieser eher in linker Kontinuität stehenden Betrachtungsweise Bobbios entspricht auch Elmar Altvaters „Notwendigkeit einer radikal-linken Kritik“, die „das verbissene Pochen auf der Nicht-Revozierbarkeit von individueller Freiheit, Differenz, Distanz von ziviler Gesellschaft und freiem Markt“ darauf befragen will, ob diese Prinzipien auf einem kapitalistischen Globus verallgemeinerbar sind.

Sowenig noch „die Linke“ als klar definiertes politisches Lager existiert, sowenig gibt es eine genuin linke Debatte über das eigene Selbstverständnis. Das Buch liefert in der politischen Breite der Autorenschaft zwar keinen Überblick, so doch einen Einblick in das Spektrum möglicher Positionsbestimmungen und weckt so den Hunger nach Vertiefung. Und was will man heutzutage mehr von einem Buch über die Perspektiven der Linken verlangen? Dieter Rulff

„What's left? Prognosen zur Linken“. Rotbuch 78, Rotbuch Verlag, 150 Seiten, 16,90 DM

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