: Die Idee von der ewigen Liebe stirbt
■ Psychologin Jutta Lack-Strecker, die scheidungswillige Elternpaare berät, über Single-Kinder in der Loyalitätskrise
taz: Was bricht in Kindern zusammen, wenn die Eltern sich trennen?
Jutta Lack-Strecker: Ich benutze im Trennungsgeschehen häufig das Schema vom Sterben und vom Tod. In den Kindern passiert nämlich etwas ganz Entscheidendes: Für sie stirbt die Idee von der Unverbrüchlichkeit der Liebe zwischen Menschen. Damit stirbt etwas Entscheidendes, etwas Lebenstragendes.
Welche Folgen hat die Trennung der Eltern für die Kinder?
Der Riß zwischen dem Elternpaar geht durch die Kinder. Wir nennen das den Loyalitätssplit. Die Kinder müssen eine ungeheure Energie darauf verwenden, damit umzugehen. Man sieht das daran, daß die Kinder häufig schlecht in der Schule werden. Loyalitätssplit heißt, wenn ich Mutter liebe, bin ich illoyal zu Vater und umgekehrt. Aber die Kinder wollen beide lieben.
Das heißt, ein Kind fühlt sich auch noch schuldig in der Trennungsphase der Eltern?
Die Schuldgefühle kommen hinzu. Die Kinder werden nie entlastet von der Idee: Bin ich nicht auch schuld? Ich bin nicht liebenswert genug gewesen, daß meine Eltern zusammenbleiben. Ich bin nicht wichtig genug.
Diese kindlichen Gefühle werden oft noch bestärkt durch Eltern, die sich bekriegen. Wie steuert eine Beraterin da gegen?
Die Paare sind davon überzeugt, daß es in der Trennung einen Verlierer und einen Gewinner geben muß. Und sie kämpfen darum, weil keiner der Verlierer sein will. Aber das Modell, das wir im Kopf haben – es gibt immer einen Gewinner und einen Verlierer –, stimmt in zwischenmenschlichen Beziehungen so nicht. Das ist Teil der Beratungsarbeit, das auch klar zu machen.
Das ist viel verlangt von den Eltern. Meist ist doch einer derjenige, der verlassen wird, sich als Verlierer fühlt und Rache üben will.
Ja sicher, der oder die versucht dann, einen gerechten Ausgleich zu schaffen nach dem Motto: Du bist gegangen, dafür bekomme ich die Kinder. Die Reaktionen der Väter gegenüber Frauen, die fortgelaufen sind, sind dabei fast noch unnachgiebiger. Die Rachegefühle des Verlassenen sind verständlich, aber sie bringen nichts.
Wie äußern sich diese Rachegefühle gegenüber den Kindern?
Die Eltern haben ja Bündniserwartung, machen Bündnisse mit dem Kind. Im ungünstigen Fall Bündnisse gegen den anderen. Diese Bündnisse zwischen einem Erwachsenen und dem schwachen Sohn oder der Tochter gegen den anderen Elternteil haben verheerende Folgen für das Kind.
Wie verläuft eine Trennung im optimalen Fall?
Die Eltern müssen das Kind im Laufe der Trennung aus ihren Bündniserwartungen entlassen. Sie müssen dem Kind gestatten, auch den anderen zu lieben, mehr noch, sogar den neuen Partner des anderen zu mögen. Wenn die Kinder aus den Bündniserwartungen der Eltern entlassen werden und sie Unterstützung kriegen nicht nur im familiären Kontext, auch in Peer-groups, dann können sie wieder kreativ sein.
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