: Apho-Opa
■ Geht Gabriel Laub, Deutschlands Satiriker Nr. 1, in Rente?
Der überschätzte Schriftsteller Gabriel Laub wurde gestern 65 Jahre alt. Zeit für diesen Nachruf.
Gabriel Laub ist ein Liebling der Medien. Alle schätzen ihn, die FAZ, die Welt, die Rheinische Post, Vitus B. Dröscher, die Zeit, das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt, und, und, und... Ein „kritischer Humorist“ soll er sein, eine „intellektuelle Person“, ein „Meister der Satire“. Das Journal für Deutschland – ein Hochglanz- Werbeblättchen der Bundesregierung – druckt gar Laubs völlig ironiefreie, tumbe Lobeshymne auf die deutschen Minister, „die Helden der Demokratie“, und preist ihn als „Deutschlands Satiriker Nummer 1“.
Was hat die Kritiker fast aller Zeitungen so für diesen Mann eingenommen? Seine „milden Satiren“ (Rheinische Post) können es nicht sein: Es handelt sich überwiegend um vor Drögheit knarrende Allerweltsplattheiten. Bleiben seine Aphorismen. „Sechzig Jahre sind für einen Sechzigjährigen ein angemessenes Alter.“ Hört sich das nach „aphoristischer Sternstunde“ (FAZ) an? „Wenn ein Masochist darunter leidet, daß er ein Masochist ist – ist das für ihn eigentlich ein Vergnügen?“; „Ich habe den bitteren Kelch bis zum Ende getrunken, sagte der Dichter nach dem fünften Bier.“ Muß man das auswendig lernen, „um für zeitkritische Gespräche mit passenden Formulierungen ausgerüstet zu sein“ (FAZ)? Nun, wenn man zu „Talk Thoelke“ eingeladen ist, vielleicht. Aber erinnert das nicht stark an die Wortmeldungen eines versetzungsgefährdeten Achtkläßlers, der die Antworten gibt, für die sich alle anderen zu schade sind, weil sie eh jeder weiß? Und: Gab es Sinnsprüche diesen Kalibers nicht schon mal?
Doch: In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts traf sich in Rußland auf einem Gut der Familie Tolstoi über mehrere Sommer hinweg eine Gruppe von Petersburger Literaten. Dort hatten sie ihre Freude daran, Parodien und Persiflagen auf die gängige Literatur zu verfassen. Und bald schon kam ihnen der Gedanke, das entstandene Werk, „ein Gemisch aus Satire, Beamtenmief, hohlem Pathos und spezifisch russischer Hausbackenheit“ (Christian Meurer in Titanic) einer einzigen, fiktiven Gestalt zuzuschreiben. Kosma Prutkow war geboren. Unter diesem Namen nämlich wurde fortan veröffentlicht.
Der Hauptgrund für die außerordentliche Beliebtheit Prutkows unter seinen zitierfreudigen russischen Landsleuten – wer zum Wodka keinen Trinkspruch ausbringt, gilt bekanntlich als Alkoholiker – ist die Gedanken und Aphorismensammlung „Früchte des Grübelns“. In höchst ironischer Art äußert er hier grobe Plattheiten und ausgewählten Unsinn in möglichst mahnendem Tonfall: „Keiner ergründet das Unergründliche“, belehrt er uns, und: „Klärende Ausdrücke erhellen dunkle Gedanken.“ Gute Ratschläge wie „Sei wachsam!“ oder „Falls du auf einem Elefantenkäfig die Bezeichnung ,Büffel‘ lesen solltest, so traue deinen Augen nicht!“ wechseln mit subtilen Beobachtungen: „Drei Dinge, einmal begonnen, sind schwer zu beenden: a) der Verzehr einer schmackhaften Mahlzeit, b) die Unterredung mit einem von langer Reise heimgekehrten Freunde, c) das Kratzen an der Stelle, wo es juckt.“
Merken Sie was? Klingt das nicht alles fast wie Gabriel Laub? bzw. umgekehrt? „Auch Terpentin ist zu etwas nütze“ – sinniert Prutkow? Salbadert Laub? Ja, gibt es denn den überhaupt? Oder wird auch hier einer fiktiven Zweizentnergestalt, die sich grundsätzlich mit alter Schreibmaschine abbilden läßt, absurder Nonsens untergeschoben? Spielen die FAZ, die Welt, Vitus B. Dröscher und die Zeit das Spiel mit? Vielleicht werden wir es nie erfahren...
Falls es Gabriel Laub aber doch geben sollte, dann erfüllt er eine alte Forderung von Karl Kraus: „Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken.“
Die breite Presse dankt es. Martin Sonneborn
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