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Es gibt keine Kompromisse mehr

Der Widerstand der albanischen Mehrheit hat feste Formen angenommen, die serbischen Besatzer haben sich eingerichtet / Im Kosovo herrscht ein politisches Patt  ■ Aus Priština Erich Rathfelder

Die Stimmung in Priština, der Hauptstadt des Kosovo, ist merkwürdig. Zwar quirlen täglich Tausende über den Basar, doch die Rufe der albanischen Straßenverkäufer sind verhalten. Der noch vor ein paar Jahren übliche unerträgliche Lärm aus dem Geschrei der Händler und dem Dröhnen orientalischer Musik ist einer seltsamen Stille gewichen. Zwar tragen die typischen weißgrauen Filzkappen der Männer, die bunten Pluderhosen der Frauen zu der altbekannten exotischen Kulisse bei. Das Leben jedoch scheint wie ein Film abzulaufen.

Auch ein paar Straßen weiter, wo die verkommenen Wahrzeichen des ehemals modernen Jugoslawien in den Himmel ragen, wo die Türme der Bank, der Stadtverwaltung und des „Grand Hotels“ auf die Anwesenheit von Serben deuten, hasten die Menschen mit verschlossenen Gesichtern durch den trüben Morgennebel. Es sind Beamte und Sekretärinnen, Funktionsträger und Militärs, die hier das Regiment der Belgrader Politstrategen auszuüben haben. In den Gesichtern ist die trunkene Selbstgewißheit, das ehemals zur Schau getragene Überlegenheitsgefühl einem tiefen Ernst gewichen.

Noch im Juli 1990, als die Verfassung der bis dahin „Autonomen Region Kosovo“ beseitigt wurde, als die albanischsprachigen Zeitungen geschlossen und die albanischen Lehrer und Universitätsprofessoren aus ihren Stellungen entlassen wurden, wogten hier die politischen Leidenschaften. Plötzlich versammelten sich Tausende von Albanern zu kurzen Demonstrationen. Mit der Gewißheit, eine gerechte Sache zu vertreten, war der albanische Überlebenswille trotz aller Repression nicht zu brechen. Die Welt sollte wissen, daß die Unterdrückung nicht hingenommen wird. Von der Welt wurde Hilfe erwartet.

Für die Serben des Kosovo lag in den gewaltsamen Aktionen der Militärs etwas Hoffnung. Das Land um das Amselfeld, dieses Symbol der serbischen Geschichte, wo 1389 die Armee des mittelalterlichen serbischen Königs Lazar den osmanischen Türken unterlag, sollte für sie verteidigt werden. Die nationalistische Propaganda hatte zwar falsche Gefühle geweckt und die Hirne auch rational denkender Serben vernebelt, doch selbst in diesem Falschen war wenigstens noch ein Ziel erkennbar. „Heute denkt niemand mehr an die Zukunft“, sagt ein serbischer Student am Eingang der Universität. „Wir wissen nicht, wofür das alles geschehen ist.“

Das Unterdrückungswerk wird im Herbst 1993 von 20.000 serbischen Polizisten und 40.000 Militärs routiniert abgewickelt. Die zwei Millionen AlbanerInnen, fast 90 Prozent der Gesamtbevölkerung des Kosovo, sollen in Schach gehalten werden. Hausdurchsuchungen werden durchgeführt, ab und an Albaner zu Tode geprügelt. Fünf sind es in den letzten Monaten gewesen. Doch das zügellose Tun, in das die Routine, die Langeweile und die Perspektivlosigkeit der Etappe eingeht, verändert nichts. Die Flamme der „antibürokratischen Revolution“ des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević ist längst erloschen.

Aus Evelina sprudelt es nur so, wenn sie über die letzten Jahre spricht. Die 28jährige Journalistin rekapituliert die Stationen des Widerstands der Kosovo-Albaner. Wie die Journalisten der ehemaligen albanischsprachigen Parteizeitung Relindija (Wiedergeburt) versuchten, unabhängig vom alten, von den Serben beherrschten Verlag die ehemalige Bauernzeitung Bujku auf die Beine zu stellen. Wie die entlassenen Ärzte private Praxen eröffneten, um die Patienten weiter behandeln zu können. Wie Lehrer und Professoren in privaten Wohnungen Schulunterricht und Seminare organisierten. Wie die albanische Gegengesellschaft entstanden ist.

„Indem die serbischen Behörden und Militärs versuchten, ein Apartheidssystem zu installieren, zwangen sie uns Albaner zur Kreativität und zum Aufbau von Gegenstrukturen, einem Gegenstaat“, erklärt Evelina. Sie ist merklich stolz, daß dies gelang. Selbst die Untergrundwahlen vom Mai 1992, aus denen ein demokratisches Parlament und mit Ibrahim Rugova ein Präsident hervorgingen, konnten trotz des serbischen Unterdrückungsapparates „ordnungsgemäß durchgeführt werden“. Daß der albanische Gegenstaat nicht mehr ganz machtlos ist, ist für Evelina die größte Errungenschaft dieser Periode. „Unser größter Schutz ist unsere Organisation“, zitiert sie ihren Präsidenten.

Die Baracke des ehemaligen Schriftstellerverbandes, wo die Untergrundregierung ihren Sitz hat, ist renoviert. Sogar neue Möbel wurden angeschafft. Im Schatten des Stadions und unter den Augen der allgegenwärtigen serbischen Geheimpolizei sind die interessantesten Persönlichkeiten des albanischen Widerstandes anzutreffen. „Die spontane Solidarität vieler entlassener Ärzte ist zum Beispiel erlahmt. Auch sie wollen überleben und nehmen jetzt Geld für die Behandlung“, sagt Edita Tahiri, eine Ingenieurin aus Prizren und Abgeordnete im Untergrundparlament. „Der große Schwung ist auch bei den Lehrern hin“, fügt Fatima hinzu, die auf dem Lande Kinder in Privatwohnungen unterrichtet. In der Baracke ist eine kleine Verwaltung entstanden, Zuständigkeiten wurden verteilt. Die Organisation des Widerstands hat Form und Namen bekommen.

Trotzdem: Wer die Möglichkeit hat, verläßt das Land. Um die 300.000 Kosovo-Albaner sind nach Schätzungen der Untergrundregierung bis heute ins Ausland ausgewichen. Vor allem junge Leute wollen der bedrückenden Gegenwart entfliehen. Die Abwanderung wird in der Untergrundorganisation einerseits als eine Art „ethnischer Säuberung“ des Kosovo empfunden, andererseits liebäugeln auch hier viele mit dieser Perspektive. Denn eine politische Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. „Das Schlimmste ist, daß wir nur warten können. Wir haben keine Waffen, wir haben keinen Schutz von außen. Wir können immer nur mit gewaltlosem Widerstand auf die Unterdrückung durch die Serben reagieren“, sagt ein Abgeordneter, der seinen Namen nicht genannt haben will.

Zoran ist 28 Jahre alt, genau wie Evelina. Er hat englische Sprache und Literatur studiert. Auch der Kosovo-Serbe möchte vor allem „so schnell wie möglich weg von hier“. Kürzlich verlor er im Zuge einer Entlassungswelle seinen Job als Fernsehmoderator, füllt seitdem Formulare aus, die die ausländischen Botschaften für Auswanderungswillige bereithalten. Nach Neuseeland zieht es ihn, nachdem die Kanadier abgewinkt haben. Seit Beginn des Krieges hätten über 300.000 SerbInnen bei den Botschaften Erfolg gehabt, sagt er – nicht nur aus Kosovo.

Im Hauptquartier von Miloševićs „Sozialistischer Partei Serbiens“ (SPS) in Priština will man von Resignation nichts wissen. „Niemals werden wir den Kosovo aufgeben, darin sind sich alle Serben einig“, sagt der „starke Mann“ des Kosovo. Živodrag Igić ist Vorsitzender der SPS, Mitglied des Belgrader Parlaments und von dessen Verteidigungsausschuß. Er hält weder etwas von einer erneuten Autonomieregelung für die albanische Mehrheit noch von einer Teilung des Kosovo zwischen Serbien und Albanien, wie sie die rechtsradikale „Serbische Radikale Partei“ des Vojslav Šešelj“ will. Die Kosovo-Albaner seien Bürger Serbiens, das müßten sie eben akzeptieren. Und die Seperatisten müßten geschlagen werden.

Igićs Rezept ist schon nach den Demonstrationen von 1981 gescheitert. Er ist nicht unfreundlich, erscheint fast moderat. Der extremistische Milizenführer Arkan und seine Leute hätten hier keine Chance, sagt er, obwohl ihm doch bekannt sein müßte, daß der von Interpol gesuchte Belgrader Parlamentarier hier nicht nur eine Bäckerei besitzt. Irgendwo in Priština befindet sich ein Ausbildunglager der Arkan-Miliz „Beli Orlovci“ (Weiße Adler). Man habe alles im Griff, meint Igić. Sicher, 24 Albaner seien kürzlich an der Grenze zu Albanien erschossen worden. Die Albaner versuchten, sich zu bewaffnen, doch die serbische Polizei komme ihnen immer auf die Schliche. Ein paar tausend Waffen habe man schon beschlagnahmt.

In der Pose des Siegers erklärt der SPS-Vorsitzende seine Gegner für unfähig, militärisch vorzugehen. Doch seine Augen verraten auch, daß der starke Mann weiß, daß der Kosovo für Serbien längst verloren ist. Daß er nur noch einen militärischen Abwehrkampf führen kann, es für ihn und Serbien nur noch um den blanken Machterhalt geht. Selbst die Debatten in Belgrad weisen darauf hin, daß es im Kosovo nur noch um die Möglichkeiten der Ausbeutung von Bodenschätzengeht: Um die Braunkohlekraftwerke, die das vom UN-Embargo geschüttelte Serbien mit Strom versorgen und mit ihren Giftwolken das Land verpesten. Und weil es darum geht, die Ressourcen des Kosovo für die aus Serbien und Montenegro bestehende „Bundesrepublik Jugoslawien“ zu sichern, wird die Idee der Aufteilung des Landes sogar in oppositionellen Belgrader Blättern wie Borba und Vreme diskutiert. Die rechten Nationalisten wollen die Aufteilung gar mit Gewalt und Vertreibung von über einer Million Albanern erzwingen.

Die Menschen in Priština warten derweil auf Entscheidungen, die woanders getroffen werden, die sie nicht beeinflussen können. Es gibt keine Übersetzungen, keine Kompromisse mehr. „Ein unabhängiger und neutraler Staat Kosovo könnte auch die Interessen der hier lebenden Serben sichern“, sagt der Untergrundpräsident des Kosovo, Ibrahim Rugova, auf einer Pressekonferenz. Es sind auch serbische Journalisten anwesend. „Soll der doch vorschlagen, was er will“, antwortet Igić. „Der Kosovo bleibt serbisch.“

Siehe Interview auf Seite 12

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