piwik no script img

Der Zwang zum Dezentralen

Stadtplaner und Reichsbahn begrüßen, daß der Senat auf die S-21 und den dazugehörigen Tunnel unter dem Tiergarten verzichtet / Mehr Planungssicherheit und Grünfläche für Anwohner  ■ Von Dirk Wildt

Ohne daß es bisher von der Öffentlichkeit bemerkt worden ist, hat sich die Berliner Eisenbahnplanung verbessert. „So paradox es klingen mag“, erläuterte Stadtplaner Christfried Tschepe in einem Gespräch mit der taz, „für die Stadtentwicklung ist der Wegfall der S-Bahn-Linie 21 ein Vorteil.“ Der Senat hatte in diesem Monat aus finanziellen Gründen entschieden, auf die S-21 und den dazugehörigen Tunnel unter dem Tiergarten zu verzichten, die den geplanten zentral gelegenen Fernbahnhof an der Lehrter Straße mit dem Potsdamer Platz und dem Flughafen Tegel verbunden hätte (die taz berichtete).

Ohne Schnellbahn-Anschluß erhöhe sich der Zwang, daß der ICE (Inter-City-Express) auf jeden Fall auch an anderen Bahnhöfen halten müsse, führte der Mitarbeiter der Planergemeinschaft Dubach-Kohlbrenner aus: „Ein Verzicht auf den Ausbau der Bahnhöfe Papestraße oder Gesundbrunnen wäre nun unverantwortlich.“

Die beiden Bahnhöfe nördlich und südlich des Umsteigebahnhofs Lehrter Bahnhof waren in die Schlagzeilen geraten, weil die Deutsche Reichsbahn (DR) überlegte, auf deren Ausbau zu Fernbahnhöfen zu verzichten. Ohne die beiden auf der Nord-Süd-Achse gelegenen Fernbahnhöfe könnten Züge aus Dresden, Leipzig, Rostock und Stettin nur am Lehrter Bahnhof halten. Die Fahrgäste müßten im Zentrum die Bahn verlassen, der Verkehr in der Stadtmitte würde entgegen den Absichten aller Planer und Politiker erheblich zunehmen.

Ulrich von Bismarck, bei der Senatsbauverwaltung für die „Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich“ zuständig, bestätigte Tschepes These. Ohne die S-Bahn-Anbindung erhöhe sich die „Planungssicherheit“ für die Bahnhöfe Papestraße und Gesundbrunnen. Noch habe sich die Deutsche Reichsbahn allerdings nicht völlig für den Ausbau von Gesundbrunnen zu einem Fernbahnhof entscheiden können.

CDU will S-Bahn-Trasse weiter freihalten

Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) und auch Rainer Giesel, verkehrspolitischer Sprecher der CDU, drängen dennoch darauf, daß für die S-Bahn nun wenigstens die Trasse freigehalten wird. Laut Tschepe, dessen Planergemeinschaft das Umfeld am Lehrter Bahnhof gestalten soll, ein teures Vergnügen von über 100 Millionen Mark. Denn wer zu einem späteren Zeitpunkt den Schnellbahn- Anschluß wolle, müsse die am Lehrter Bahnhof unterirdische Einfädelung heute bauen. Auch müßten Teile des Tunnels realisiert werden. Beim Bau der anderen drei Tunnel für Eisenbahn, U-Bahn und Autos werde das Flußbett im Spreebogen einmal nach Süden und dann wieder nach Norden versetzt. Wenn dabei auf die S-Bahn-Röhre verzichtet würde, dann vermutlich für immer. Denn sobald sowohl der Lehrter Bahnhof als auch das Regierungsviertel fertiggestellt seien, würde nie wieder der Aufwand betrieben, den Fluß umzuleiten.

Ob die Trasse für die S-Bahn vorbereitet werde, bleibe dennoch völlig unklar, sagte Tschepe. „Es ist nicht zu erkennen, wo der Senat das Geld hernehmen will.“ Verkehrssenator Haase hofft, wie auch bei den Kosten für den Autotunnel, daß die Bundesregierung sich beteiligen oder gar alles bezahlen wird.

Allerdings konnte der Senator aus den Verhandlungen bislang nur von Mißerfolgen berichten. Eines ist sicher: Die Reichsbahn wird keinen Pfennig zahlen. „Wir haben die S-21 nie favorisiert“, meinte DR-Abteilungsleiter Christian Morgenroth. Schließlich wäre sie parallel zu dem geplanten Eisenbahntunnel verlaufen und hätte der Regionalbahn Fahrgäste weggenommen. Wenn der Senat Vorleistungen wie vorerst ungenutzte Tunnel haben wolle, müsse er sie auch finanzieren.

Verzicht auf S-21 hat auch stadtplanerische Vorteile

Der Verzicht auf die S-21 hat aber neben verkehrspolitischen auch stadtplanerische Vorteile, berichtete Tschepe weiter. Weil die vier Gleise der S-Bahn nördlich des Umsteigebahnhofs wegfallen, profitiere der gesamte Bereich bis zur Perleberger Straße von dieser Fläche, auf der keine Häuser gebaut würden, solange die S-Bahn- Trasse freigehalten werde. So würde der Grünstreifen, den Stadtplaner seit Jahren forderten, doch noch kommen.

Allerdings sei nun ein Streit zwischen Bezirk und Reichsbahn entbrannt, berichtete Helmut Rösener von S.T.E.R.N. Die Bahn wolle die Fernbahngleise jetzt auf der östlich gelegenen S-Bahn-Trasse verlaufen lassen, weil dadurch auf der westlichen Seite die bahneigenen freiwerdenden Grundstücke größer ausfallen würden und später besser verwertet werden könnten. Der ICE und Güterzüge würden nur fünf Meter entfernt von Wohnhäusern fahren. Rösener räumte den Vorstellungen der Reichsbahn aber wenig Aussichten auf Erfolg ein, weil spätestens im Planfeststellungsverfahren die ökologischen Aspekte berücksichtigt werden müssen.

Tiergartens Baustadtrat Horst Porath (SPD) begrüßt den Verzicht auf die S-21 ebenfalls. Schließlich gebe es statt vier nun nur noch drei Tunnel unter dem Tiergarten. Aus finanziellen Gründen sei auch der Autotunnel immer mehr in Frage zu stellen. Aber bis der Senat hierauf verzichte, müsse wohl erst ein weiteres Finanzloch entdeckt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen