: Wenn das Weltbild bebt und wackelt
■ Bremens Audiovisionäre treffen sich heute zum „Step Forward"-Festival / Tips für eine gelungene Diashow
Niemand weiß, wie sie richtig heißen: Sind es Audiovisionäre oder Audiovisionisten, diese Menschen, die sich die Welt in kleine Dias rahmen, um sie zu vertonen und dann in nie gesehenen Abfolgen an die Bildwände zu werfen? So daß einer schwindelig werden kann, weil das Weltbild verwackelt und bebt.
Aber auch alltägliche Dinge verzerren sich unter diesem Blick — ein Bremer Braunkohlessen beispielsweise. Was wäre das für ein Leinwandschmaus, wenn Gesichter mit aufgerissenen Mäulern und gigantisch projizierten Zähnen über riesengroßem grünen Haufen wogen würden. Und dazu quöllen Schmatzgeräusche und noch derbere Töne aus den Lautsprechern, als wenn sich das Fressen direkt vor unseren Augen abspielte. Nur schade — die Idee vom Braunkohlessen im Überblendverfahren existiert vorerst nur als Idee, obwohl das „Institut für Audiovision“ so etwas auf seinem „Zweiten Bremer Audio-Visions-Festival“ am heutigen Samstag gerne gezeigt hätte.
Vierzehn Bremer Lichtbildkomponisten, darunter zwei Frauen, gehören zum „Institut“ — das in Wirklichkeit nur ein eingetragener Verein ist. Aber Nomen est Omen — und schon die Sorgfalt bei der Namensgebung verrät, wie eng die Audiovision mit der Werbung verzahnt ist: Rund die Hälfte der eingetragenen VereinsvisionistInnen betreiben ihre audiovisionäre Tüftelei nämlich zum Gelderwerb. Aber: „Auch die nichtprofessionellen können sich mit ihren Arbeiten sehen lassen“, verteidigt Helma Schröder, selbst Profi, als Vereinsvorsit-
Mit Hilfe von 14 Projektoren gerät der Weiße Hai sogar im Breitwandformat ins Schwimmen
zende das Niveau der Bildkompositionen.
Vor drei Jahren erst wurde der Verein gegründet, um den Aus- tausch unter den potentiellen Einzelschaffern zu fördern. Denn wer eine Diashow konzipiert, arbeitet vornehmlich allein: fotografiert, entwirft das Drehbuch, plant Bilderfolge und Musik und programmiert den Computer, der alles miteinander koordiniert. Sechs Projektoren sind dann mindestens im Spiel.
Genausoviele, wenn nicht mehr, wie Helma Schröder in ihren Räumen ständig aufgebaut hat. Schließlich zählt sie zu den Profis in der Gruppe.
Wie die meisten Mitglieder ist die ausgebildete Lehrerin Autodidaktin in Sachen Fotografie und dieses Hobby brachte sie zur modernen Diashow im Überblendverfahren. „Nicht etwa über das Hörspiel“, ulkt sie - und findet die Idee dabei gar nicht so abwegig. Schließlich lebt die Arbeit vom Zusammenspiel von Ton und Bild — und manchmal wirkt das Ergebnis sogar wie ein kurzer Film. Aber das wäre kein Qualitätsmerkmal.
Dem Verein kommt es auf Vielfältigkeit an, und auf Originalität. Und auf's Medium eben, die Dias. Auch, wenn Helma Schröder einschränkt: „Darauf alleine darf man für die Zukunft nicht setzen.“ Aber dann erzählt sie von den Schauen, die der Verein der Öffentlichkeit vorstellen will und gerät ins Schwärmen: Vom weißen Hai, der mit Hilfe von 14 Projektoren sogar auf Breitwand schwimmen kann, aber Monate brauchte, bis Renate und Klaus Reith ihn soweit hatten. Oder davon, wie lang eine Minute ist, wenn der Kunststudent Eckhardt Kreye sie am Bahnhof in Dias zerstückelt und für eine Show neu zusammensetzt. Und von Mahlers Symphonien, die mit Okerfelsen bildlich vermischt ganz besonders wirken.
Eva Rohde
Das Audio-Visions-Festival „Step Forward“ findet am Samstag, 30.10 im Hörsaalgebäude der Universität statt. Ab 10 Uhr morgens mit ReferentInnen zum Thema; von 16 - 22 Uhr laufen die Schauen. Info: 55 61 43
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