Wasserwege durch Norwegen

Eine Rundreise durch Norwegen ist dank Schiff und Schiene ohne Auto möglich  ■ Von Karl W. Biehusen

Mit Pfeilen und Bögen jagten die Bewohner des „Firda fylket“ das Schiff zurück auf die See, mit dem die fromme irische Prinzessin Sunnivan auf der Flucht vor heidnischen Wikingern ausgerechnet an die norwegische Westküste getrieben war. Sie strandete auf einem kargen Felseneiland, wo sie schließlich eines gewaltsamen Todes starb. Die Nachfahren der ungastlichen Norweger haben allen Grund, das Andenken der später heilig gesprochenen Irin zu pflegen: Die Ruinen des Klosters, das dort, auf der Insel Selja bei Selje, im 12. Jh. errichtet wurde, gehört heute zu den lohnenden Zielen von Westkap-Reisenden.

Das „Vestkapp“, dieser westlichste Festlandzipfel Norwegens auf der Halbinsel Stadland, war bis vor kurzem eher ein Geheimtip von Hobbyfischern. Nicht zuletzt deutsche Sportangler gehören zu den Stammkunden der Hoteliers und Hüttenvermieter in Selje und in der nächstgelegenen Stadt, Malöy. Und es kommen immer mehr Touristen, die in der Wasserwelt nördlich von Bergen ganz einfach die Natur genießen wollen. Unterstützen soll dies eine neue Fährverbindung vom dänischen Hanstholm nach Bergen: „Von Selje bis Oslo sind es 600 km, mit der Schnellfähre bis Bergen nur vier Stunden.“

„Fjord Line“ nennt sich die eigens gegründete Reederei beziehungsreich, die Reisenden mit ihrem Neubau MS „Bergen“ die zweitgrößte Stadt Norwegens und eine der reizvollsten Gegenden des Landes erschließt: Bergen gilt als „Tor zum Land der Fjorde“. Gerade 1993 wird die Stadt darüber hinaus ihrem Ruf als Kulturmetropole Norwegens besonders gerecht. Wird doch in diesem Jahr die 150. Wiederkehr des Geburtstages des Komponisten Edvard Grieg gefeiert, dessen Sommersitz „Troldhaugen“ am Rande der Stadt von Touristen geradezu überschwemmt wird. Insbesondere für Japaner scheint die Villa aus Holz eine unverzichtbare Station jeder Nordlandreise darzustellen. Deutsche Urlauber zieht es vornehmlich zum alten Hafen. Dort wird, zwischen der romanischen Haakons-Halle und dem quirligen Fischmarkt, im Hanse-Kontor die Erinnerung an die Kaufleute aus Bremen, Hamburg und Lübeck wachgehalten, die den lukrativen Handel mit Stockfischen und Pelzen vom Mittelalter bis ins 18. Jh. dominierten. Jahrhundertelang konnten sie sich, gestützt auf königliche Privilegien, sogar als die eigentlichen Herren in der ehemaligen Hauptstadt Norwegens aufspielen.

MS „Bergen“, die mit Egersund und Stavanger zwei weitere sehenswerte Küstenorte anläuft, soll nicht nur Touristen befördern, sondern auch die Küstenstraße entlasten. Die Fähre dient, zur Freude von Umweltschützern, gewissermaßen als Zubringer zur „Reichsstraße Nummer 1“. So bezeichnen Norweger das Meer, das ihre schier unendlich lange Küste umspült. Seit 1893 befahren die Postschiffe der Hurtigruta diesen Wasserweg von Bergen nach Kirkenes, dem Norwegen schließlich sogar seinen Namen verdankt: der Weg nach Norden. Die hundertste Wiederkehr ihres Geburtstags hätten die Hurtigruta und ihre Freunde in geradezu südländischer Begeisterung dennoch kaum feiern können, wären die Fahrten mit ihren „Nutzfahrzeugen“ nicht in den 80er Jahren zu Verkaufshits in den Reisebüros geworden.

Diesem Trend beginnen sich die schnellen Fähren der halbstaatlichen „Fylkesbaatane“ anzuschließen. Auch sie sind eigentlich dazu bestimmt, den Menschen in verlassenen Küstenorten als Nahverkehrsmittel zu dienen. Doch eignen sie sich auch als „Minikreuzer“ zur Entdeckung einer Wasserwelt, die mit Schären, Inseln und Fjorden ihre Gäste genauso überrascht wie mit aufgeschlossenen Gastgebern.

Den Höhepunkt der Entdeckungsreise im Westen des Landes bildet der Sognefjord, den die flinken und komfortablen Katamarane bis in seine Verzweigungen Naeröyfjord und Fjaerlandfjord und bis zu seinem Ende, 204 km tief im Binnenland, bedienen. Der „König der Fjorde“ steht aus gutem Grund auf der Liste von Traumreisen von Veranstaltern aus aller Welt. Fähren und Kreuzfahrer, „Lustyachten“ und Küstenfrachter ziehen ihre Bahnen zwischen grünen Inseln und steilen Felswänden, gleiten vorüber an verträumten Dörfern und schneebedeckten Gipfeln.

Die Schiffe bewegen sich in einem Revier, auf dem schon die Drachenboote der Wikinger kreuzten. Bei Balestrand entsteht derzeit ein Freilichtmuseum, in dem Wissenschaftler ihren Alltag rekonstruieren. Die Gunst des Golfstroms verschaffte ihnen reiche Ernten als Basis für Fahrten in die Ferne, wo noch reichere Beute lockte. Ein Menhir über einem Häuptlingsgrab beweist, daß der Sognefjord noch im 12. Jh. sogar Schauplatz einer Seeschlacht im Bürgerkrieg war. Er steht in Leikanger. Hier lohnt sich, neben der Fischerei, noch immer die Landwirtschaft. Ein wenig Industrie und zunehmend der Tourismus bringen weitere Einnahmen.

Eine gewisse Tradition hat der Fremdenverkehr im nahen Balestrand. In diesem Ort, Knotenpunkt mehrerer Fährlinien, trafen sich schon um die Jahrhundertwende wohlhabende Reisende und Künstler. Eines der schönsten Hotels des Landes hat sich den Jugendstil dieser Zeit bewahrt. Dort zeigt man sogar den Stuhl, auf dem sitzend Kaiser Wilhelm II., zu Gast bei dem Maler Hans Dahl, die Nachricht von den Schüssen in Sarajevo erhielt, die den Ersten Weltkrieg eröffneten. Eine andere Attraktion bietet das neue und höchst instruktive Gletschermuseum in Fjaerland am Ende des Fjaerlandfjords, der fast bis an den Fuß des größten Gletscher Norwegens reicht: 487 Quadratkilometer bedeckt der Jostedalsbre und verführt Bergwanderer zu Ausflügen ins ewige Eis unter einer Sommersonne, die hier im Norden nur einer kurzen Dämmerung weicht.

Im Naeyröyfjord, den die „Wasserbusse“ vom Balestrand aus in südlicher Richtung ansteuern, durchquert die Flam-Bahn eine wildromantische Hochgebirgslandschaft und überwindet dabei auf den 20 km bis zur Endstation in Myrdal einen Höhenunterschied von 865 m. Hier steigen Rundreisende in die Bahn nach Bergen um, die auf der Fahrt von Norwegens heutiger Hauptstadt Oslo aus das fast menschenleere Land zuvor in seiner Breite durchquert hat.

Norwegen-Reisende können mithin, dank Schiff und Schiene, durchaus auf das Auto verzichten. Als unverzichtbar erweisen sich zumindest im Westen des Landes hingegen ein Regenschirm oder Regenmäntel, die clevere Hoteliers ihren Gästen leihweise zur Verfügung stellen.

Norwegisches Fremdenverkehrsamt („Nortra“), Postfach 76 08 20, 22058 Hamburg, Tel.: 040-22 71 08 10. Das Amt gibt alljährlich ein Reisemagazin („Norwegen – Das offizielle Reisehandbuch“) heraus, das zum Preis von 12 Mark in Buchläden zu beziehen ist.

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