Sanssouci: Nachschlag
■ Das Als-ob-Syndrom
Daß alles irgendwie zusammenhängt, ist nicht nur das Credo konsequenter Ökologen und Bewußtseinserweiterer; es läßt sich auch in der Berliner Wirklichkeit zeigen, in der das Prinzip des „So tun als ob“ wohl am stärksten ausgeprägt ist. Ausgezeichnet jedenfalls paßte die jüngste Werbeaktion von Ikea zum Charakter der suspendierten Hauptstadt, die sich ständig quengelnd und lärmend bemüht, nicht Metropole zu sein, sondern als Metropole zu gelten. Ein paar Monate lang hatte das „Möbelhaus aus Schweden“ eine Familie gesucht, die an einem Samstagvormittag öffentlich in einem „Zimmer“ in der Möbelausstellung so tun sollte, als ob sie dort wohnen täte.
„Die Einrichtungsgegenstände sollen strapaziert und wie im richtigen Leben benutzt werden“, hieß es in der Pressemitteilung, die uns das Möbelhaus zufaxte. Hernach wollten „die Ikea- Verantwortlichen“ von „der mutigen Familie“, die übrigens „Abel“ (!) hieß, wissen, „wie die Zusammenstellung der Einrichtungsvorschläge dem Alltag standhalten, wie funktionsgerecht und gemütlich jeder einzelne Einrichtungsgegenstand ist“. Die Frage, wieweit das Musterbewohnen und -zerwohnen den in „echten“ Testhaushalten ermittelten familiären Durchschnittstätigkeiten gefolgt ist und ob die Möbel die fünfstündige Strapaze überstanden haben, kann hier leider wegen fehlender Teil- und Anteilnahme nicht beantwortet werden; in jedem Fall war das unter Beobachtung stehende „so tun als ob“ recht lukrativ. Für ihr „Engagement“ erhielt „die mutige Familie“ anschließend einen Warengutschein im Wert von 5.000 Mark.
Das Leben im Test, also quasi im Wartezustand, hat inzwischen die eigene Wahrnehmung infiziert: Wenn ein paar Leute in der Kneipe die gleiche Zigarettenmarke rauchen, ist unklar, ob sie dafür bezahlt werden; unter einem Baum beim Bahnhof Friedrichstraße muß man sich erst lange vergewissern, ob das nächtlich-romantische Zwitschern da tatsächlich von echten Vögeln und nicht etwa aus Lautsprechern kommt. Doch eigentlich wollte ich noch von einer ganz anderen Geschichte berichten, die einen Dosensuppenfan dazu veranlaßte, an die „Erasco“-Qualitätskontrolle zu schreiben:
„Als ich die ,klare Rinderbrühe mit Einlage‘ (...) schon fast aufgegessen hatte, entdeckte ich auf dem Löffel einen kleinen Wurm, etwa 8 mm lang, beigefarben, mit etwas dunklerem Köpfchen. Ich habe das Corpus delicti im ersten Schreck und vor Ekel sofort in den Ausguß geschüttet, weshalb ich es Ihnen jetzt leider nicht als ,Beweisstück‘ mitschicken kann. Vorher hatte ich es allerdings noch meiner Wohnungsnachbarin gezeigt, um sicherzugehen, ob es sich nicht etwa um eine Nudel handelte. Sie (...) kann den ekligen Fund jederzeit bezeugen. Die Suppenkonserve habe ich gestern im ,Super 2000‘-Markt im Europacenter in Berlin gekauft. (...) Vielleicht können Sie in Zukunft dafür Sorge tragen, daß derartiges nicht wieder vorkommt. Ihre enttäuschte, ehemalige Dosensuppenkonsumentin Cornelia F.“ Detlef Kuhlbrodt
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