: Keine Zensuren mehr bis zur neunten Klasse
■ Bündnis 90/Grüne fordern: Lernentwicklungsberichte statt „Notengewitter“
Berlin (taz) – Bündnis 90/Grüne wollen die Schulnoten in den ersten acht Schuljahren abschaffen. Der praktische Nutzen des „Notengewitters“ von bis zu 4.000 Zensuren in einem Schülerleben sei höchst zweifelhaft. Noten stärkten die Lehrermacht und bildeten Rangordnungen, heißt es in dem ersten Grundsatzprogramm für eine bündnis-grüne Schulpolitik, das Parteisprecherin Marianne Birthler gestern in Berlin vorstellte. Die Notenfreiheit solle den Schulen nicht aufgezwungen werden, meinte Birthler. Als Bildungsministerin in Brandenburg habe sie nur anfänglich Demonstrationen gegen die Abschaffung erlebt. „Papi kriegt Gehalt, ich will Noten“, hätten Kinder auf Pappschilder geschrieben. Inzwischen protestiere niemand mehr, sagte die Grünen-Sprecherin.
Schwere Geschütze fuhr die ehemalige Berliner Schulsenatorin, Sybille Volkholz, dagegen auf, das Abitur schon nach zwölf Jahren zu vergeben. „Das macht 30 Jahre Bildungsreform zunichte“, bewertete Volkholz den Thüringer Weg zum Abitur. Dort gilt inzwischen die dreijährige gymnasiale Oberstufe, gleichzeitig kann die Hochschulreife nach zwölf Jahren erworben werden. Volkholz' Kritik lautet, daß dadurch die Abiturphase schon in der zehnten Klasse beginne, und es erneut zu einer scharfen Trennung zwischen Gymnasien und Real- bzw. Hauptschulen komme. Das sei ein Bildungskonzept aus vordemokratischer Zeit.
Bündnis 90/Grüne setzen dagegen ihre erstmalig mit bundesweitem Anspruch formulierten Grundsatzvorstellungen. Deren Leitmotiv sei, eine „Reformpädagogik für alle durch eine innere Schulreform“ zu erreichen, sagte der Sprecher der bündnis-grünen Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung, Rolf Schmidt. Es würden keine Glaubenskriege mehr um „etwas überholte Strukturdebatten“ wie die verbindliche Gesamtschule geführt, so Schmidt. An dem langfristigen Ziel werde aber festgehalten, setzte Marianne Birthler nach: „Wir müssen die Schule, die alle Bildungsabschlüsse bereithält, in die Wohnorte hineinbringen.“ – „Wir dürfen die Schule nicht nur als Unterrichtsanstalt begreifen“, sagte Rolf Schmidt. Sie müsse ein Lebensort werden. Die Grünen denken dabei an das Modell einer sich selbst verwaltenden „Schulgemeinde“. Nur eine Schulpolis könne die geänderte soziale Aufgabe der Schule wahrnehmen, Kinder in die Gesellschaft zu integrieren.
Als Beispiele nannte Schmidt freiwillige interkulturelle und ökologische Ganztagesangebote in Schulen. Die „können auch von außen kommen“, also von NichtlehrerInnen. Als ökologischer Lernort würden sich die bündnis- grünen Schulen im Wortsinne „begrünen“: Schulgärten, Entsiegeln und eigenes Gestalten der Schulhöfe sollen „sinnliche Erfahrung, Freude und Genuß an der Natur ermöglichen.“ cif
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