Der weiche Klang

■ Martha Argerich in der Musikhalle

Sie kommen aus Genf und sind eher etwas dezenter, die Damen und Herren des besten Schweizer Orchesters, das fast 50 Jahre von ein und demselben Dirigenten geleitet und gepflegt wurde. Ernest Ansermet gründete 1918 das Orchestre de la Suisse Romande, um im französischsprachigen Teil der Schweiz ein Orchester von überregionaler Geltung aufzubauen.

Neben üblichen Opern- und Konzerten spielte es viele Ur- und Erstaufführungen von Werken französischer Komponisten, wie 1921 Ravels knallig-wollüstige Tondichtung La Valse. Gerade die Musik des Impressionismus, aber auch Werke von Strawinsky und Prokofiew führte das Orchester zum ersten Mal in der Schweiz auf.

1985 übernahm der Schweizer Dirigent Armin Jordan den Klangkörper und pflegt die Tradition der weichen Klänge. In Hamburg spielte das Impressionismus-Orchester den Debussy-Schlager Prélude a l aprés-midi d'un faune, der 1894 Debussy über Nacht berühmt machte. Ein Orchesterwerk, das damals gängige Formeln harmonischer Entwicklung und instrumentaler Norm lässig ablegte und hedonistisch einem Mallarméschen Gedicht folgte. Butterweiche Klangfarben und ein betäubend schöner Streichergrund präludierten das Gastspiel der Schweizer in der Musikhalle aufs vortrefflichste.

Robert Schumanns A-moll-Klavierkonzert, interpretiert von Martha Argerich, läutete den konzertanten und den für das Orchester schwächsten Teil ein. Martha Argerich spielte einen ausgezeichneten Schumann, doch es fehlte an Feuer aus dem Orchester, das allzu schlank und etwas müde dem Klavierspiel folgte. So korrekt das Schumann-Spiel dem Ende zuging, so zauberhaft elektrisierte die Ravel-Zugabe. Nach der Pause wurde das Klima grimmiger, aber nicht unbedingt kälter. Dimitri Schostakowitsch schrieb 1953 seine 10. Symphonie, wenige Monate nach dem Tode Stalins. Was zwischen dem Diktator Stalin und dem Komponisten Schostakowitsch als paradoxes Geflecht aus Haß, Angst und Bewunderung über Jahrzehnte bestand, fand in der 10. Symphonie dramatischen Ausdruck. Mit vornehmer Zurückhaltung, ohne knallige Effekte inszenierten die Schweizer die sinfonische Autobiographie des Russen in ungewohnt gezähmter Form. Selbst das motorisch-böse Stalinportrait (Scherzo) ließ das Orchester auf dem Boden kammermusikalischer Tatsachen.Sven Ahnert