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Lob des Eigensinns

■ „Pickel Grab Ferrari“ im JAK: Morde in der Innenwelt

Jede Menge Morde verspricht Jürgen Zielinski, Chef des Jugendtheaters auf Kampnagel (JAK), für die Uraufführung der neuen JAK-Produktion Pickel Grab Ferrari von Jörg Richard. Neuland möchte Zielinski mit diesem Stück betreten, das sich an Jugendliche ab 15 Jahren richtet, die bereits Erfahrungen mit Theater haben. Für die Regie gewann Zielinski die Frankfurter Choreographin Vivienne Newport, die schon für die Speckpferde die Choreographie entwickelt hatte. Wenngleich ein Stück für Jugendliche, befaßt sich Pickel Grab Ferrari mit Bildern und Vorstellungen aus der und über die Kindheit und das „innere Kind“, das in jedem Menschen trotzt.

Von der Suche nach Vorbildern und Identität zwischen Kaufhaus-Kitsch und der Sehnsucht nach dem „richtigen Leben“ wird nicht linear erzählt, sondern in einer Bilder- und Szenenfolge, in deren Mittelpunkt das Mein-Kind steht, das Ursula Berlinghoff verkörpert. Hans Gröning und Esther Linkenbach sind Papa und Mama und die puppigen Kunstgestalten Ken und Barbie. Jene Figuren also, mit denen sich Kinder in eine heile, verlogene Rama-Frühstücksfamilien-Welt flüchten. Das rundum wohl behütete Kind hat einen besonderen Begleiter, das aus dem Volkslied bekannte Bucklicht Männlein. „Es ist die andere Seite des Kindes, mit der es nicht so leicht anfreunden kann“, so die Regisseurin. Das Männlein stehe auch für den Konflikt zwischen innerer Schönheit und äußerem Schein, so Zielinski.

Mit Mitteln des Tanztheaters und Improvisationen entwickelte die Regisseurin mit den Schauspielerinnen und Schauspielern Bewegungsabläufe, die dem Stück die Struktur geben. Dabei habe sie auch individuelle Erlebnisse der Darsteller aufgegriffen, die im Laufe der Proben von der persönlichen Erfahrung zu Bewegungsabläufen abstrahiert wurden, erläuterte die Regisseurin. „Die Mordphantasien des überbehüteten Kindes zeigen wir durchaus mit seinen lustvollen Aspekten“, sagte Zielinski, der den „therapeutischen“ Effekt ansprach, daß es heilsam sein könne, kindlichen Mordphantasien Ausdruck zu verleihen, wenn dadurch möglicherweise in der Realität Schlimmeres verhindert werde.

Verhindern konnte Jürgen Zielinski nicht, daß der Hamburger Senat auf Dauer gar kein Jugendtheater will, jedenfalls kein eigenständiges institutionalisiertes Haus. Die Kulturbehörde hält den unbequemen Zielinski freilich für ersetzbar, und spekuliert möglicherweise auf einen bescheideneren Theater-Chef. Die Kammerspiele, die soeben noch eine knappe Viertelmillion Projektförderung bekamen, meldeten sich finanziell gestärkt schon am Mittwoch beim JAK, ob dieses seine Option auf das Erfolgs-Stück Was heißt'n hier Liebe aufrechterhalte. Die Leichenfledderei hat begonnen. jk

Premiere: 9. 11. 19 Uhr; und 10., 12., 20., 25. 11. um 19 Uhr; 11., 16., 19., 23., 24. 11. um 11 Uhr, Halle 4

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