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Wo sind die Revolutionäre?

„KRIEG.“ – Eine Fotografieausstellung und ein Symposium in Graz  ■ Von Jochen Becker

Auf dem Weg von der Kunst- Biennale in Venedig zum Kulturfestival „steirischer herbst“ in Graz überquert man unweigerlich Slowenien. Italiener und Österreicher füllen hier kostengünstig ihren Benzintank; für die Autobahnnutzung zahlt man in jeder mitteleuropäischen Fremdwährung. Selbstverständlich sprechen Freunde in Wien von Laibach, wenn sie Ljubljana meinen: Slowenien ist das preiswerte Naherholungsgebiet im Hinterland.

Der Krieg ist nahe, jedoch abgepuffert durch die rasche Unabhängigkeitserklärung Sloweniens. Die Steiermark ist kein Frontland mehr, wird jedoch durch zuwandernde Flüchtlinge stets an den Konflikt erinnert. Österreich profitiert von den „neuen Märkten“ im Osten und bleibt von der Rezession im übrigen Mitteleuropa weitgehend unbehelligt. Denn die Folgekosten oder die Sorge um die Flüchtlinge werden nach Möglichkeit abgeschoben. Auch „KRIEG.“, eine Fotoausstellung „vor dem Hintergrund des Zustands Krieg“, profitiert von der Stabilität des Staatshaushaltes durch beträchtliche finanzielle Zuwendungen, welche Graz im Herbst zur kulturellen Wiener Vorstadt werden lassen, zieht sich jedoch nicht auf ästhetische Nischen zurück. „Die Entscheidung, eine Veranstaltung mit und um Fotografie in bezug zur nur wenige Stunden von Graz entfernt stattfindenden Katastrophe im ehemaligen Jugoslawien zu setzen, hat sich mit zwingender Selbstverständlichkeit ergeben: der Realität und der Kunst gegenüber“, schreiben Werner Fenz und Christine Frisinghelli im Einführungstext des Katalogs.

Die Neue Galerie liegt am Ende einer Einkaufszone, ihr gegenüber wirbt ein Geschäft per Video und Straßenbeschallung. Das New Yorker Videokollektiv Paper Tiger TV wählte seinerseits ein Schaufenster im Eingangsbereich des Ausstellungsgebäudes. Sie präsentieren, ebenfalls mit Außenlautsprecher, Besuchern und Passanten ihre umfangreichen Arbeiten zum Golfkrieg: Ihre 1991 landesweit vertriebenen Sendungen unterwarfen sich nicht der freiwilligen Selbstkontrolle der übrigen Fernsehproduzenten, sondern zeigten den artikulierten Widerstand in Teilen der Bevölkerung. Im Ausstellungsraum selbst baute PTTV einen Schützengraben und ein Wohnzimmer aus Zeitungsbergen, um sich so symbolisch des „Wort- und Bild-Bombardements“ zu erwehren. Die „Target Audience“ (Zielgruppe) benannte Installation fordert statt „Operation Desert Storm“ – „Operation Storm the Media“. Die umfangreichen Arbeiten von PTTV über den Medienkrieg aus US-amerikanischer Sicht verweisen zugleich deutlich auf eine hier fehlende Kritik der Fernsehberichterstattung über Ex-Jugoslawien.

Verena Kraft und Kurt Petz fügten den Bildern des heutigen Guernica als Schattenrisse die Bomber der „Legion Condor“ bei. Elke Krystufeks simples Anpinnen eines Überweisungsbelegs an amnesty international, wohin sie ihr Ausstellungshonorar transferierte, weicht mit raschen Gesten einer genaueren und für die Besucher nachvollziehbaren Beschäftigung aus.

Das Problem des Termindrucks zwischen Themenstellung und Präsentation und die damit verbundene fehlende Einarbeitung mancher Beteiligter prägt weite Teile der Ausstellung. Die Diskrepanz zwischen Krieg und „KRIEG.“ durchzieht nicht nur viele der ausgestellten Arbeiten, sondern ebenso den blattgoldverzierten Ausstellungssaal in der oberen Etage der Neuen Galerie. Doch was würde sich ändern, fände die Präsentation in einem rauheren Umfeld – etwa einer Fabrikhalle oder in einer Kaserne – statt? Warum verbindet man bestimmte ästhetische Vorstellungen mit einer Ausstellung über Krieg? Und stellt sich nicht viel eher die Frage nach Ohnmacht, Wirkungslosigkeit oder Reaktivität der Präsentation von Artefakten und ihrer Alternative, Formen der Intervention zu entwickeln?

Bilder zum Krieg werden zumeist defensiv, aus der Perspektive des Duldens und Erleidens plaziert. Art in Ruins hingegen suchen die Resistance: Mit Rückgriff auf eine ältere Arbeit, die allerdings der jetzigen Situation angepaßt wurde, verweigern Art In Ruins eine eilige Antwort auf das von den Ausstellungsmachern gestellte Thema. „Representation III“ heißt die Installation aus einem Malcolm-X-Bild, einem Ghettoblaster, einem aufgehängten T-Shirt und zwei Fotoleuchten. Doch im Unterschied zu vorangegangenen Versionen scheint kein Licht auf den Politiker, erklingt keine flammende Rede vom Band, war nach kurzem Boom kein X-Shirt mehr in den Trendläden zu erhalten. Where are the revolutionaries?

Willie Dohertys großformatiger, dreiteiliger Bildzyklus „Von Angesicht zu Angesicht“ wirkt im ersten Moment wie geläufige Opfer- und Trümmerfotos, an denen man mit einem rasch registrierten Blick vorübereilt. Erst die untereinander austauschbaren Bildunterschriften – „Die Iren sind verrückt“ / „Die Iren sind böse“ / „Die Iren sind bemitleidenswert“ reißen die Arbeiten aus der scheinbaren Vernutztheit ihrer Motive heraus. Die Untertitel bilden Prototypen verurteilender Presseagenturtexte, denen jegliche Anteilnahme fehlt: Wo die grüne Insel längst abgeschrieben ist, geben stets kompatible Stereotypen in Bild und Wort den Rest. In seinem Katalogtext schreibt Doherty von den Bemühungen der britischen Besatzer, das Bild des Krieges zu säubern. Der 1988 in Kraft getretene „Media Broadcast Ban“ soll der IRA Öffentlichkeit entziehen. Diese Zensurmaßnahmen haben jedoch zur Folge, daß die Bombenattacken noch spektakulärer angelegt werden und nun auch die Metropole London betreffen, damit sie nicht ignoriert werden können. Der Bann „macht die Sprachmittel für die Beschreibung des Kriegs stumpf, so daß jede Möglichkeit, aus dieser offensichtlich verfahrenen Situation herauszufinden, zunichte gemacht wird.“

Seiichi Furuya lebt seit 20 Jahren in Europa. Aus dem Zeitraum von 1981 bis 1983 stammen seine Aufzeichnungen der Fluchtbewegungen über die „Grüne Grenze“ Österreichs, auf welche die Arbeit „Limes“ über die Berliner Mauer folgte. Die in „KRIEG.“ ausgestellte jüngste Arbeit „Vertreiben – Flüchten“ fügt ohne sozialen Kontext aufgenommene Gesichter von nun in Graz lebenden Bosnien-Flüchtlingen, eine Karte mit ihren Herkunftsorten und Texttafeln mit fragebogengestützten Antworten zu ihrer Biographie, Fluchtgeschichte und ihrem Vertreibungsgrund aneinander. Die Bilder, die Punkte auf der Karte und die Antworten sind soweit formalisiert und abstrahiert, daß die Installation wie eine wissenschaftliche Studie wirkt; die Kunstfotografie, die Hängung und der leuchtend gelbe Hintergrund der Tafeln heben jedoch den Aufmerksamkeitsgrad der Arbeit. Demoskopisches Vorgehen und sozialkitschloser Pop, der die Flüchtlinge nicht auf ihre Opferhaltung reduziert, fügen sich hierbei zusammen. Furuyas Arbeiten sind Beispiele für Erkundungen, die dem sich dokumentarisch wähnenden Bildjournalismus fernliegen.

„KRIEG.“ Publikation in zwei Bänden, 49 Mark. Im Frühjahr 1994 publiziert die Grazer Zeitschrift „Camera Austria“ die Vorträge des Symposiums.

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