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„Sie wählte das Messer...“ Von Andrea Böhm

Manche halten den Fall für pikant, andere für existentiell. Festzuhalten ist, daß er bereits Mediengeschichte gemacht hatte, bevor überhaupt der Prozeß eröffnet worden war. Am Montag war es soweit: Vor Gericht im US-Bundesstaat Virginia erschienen John Wayne Bobbitt und Lorena Bobbitt, die außer dem gemeinsamen Ehenamen wahrlich nichts mehr verbindet. Er, angeklagt wegen Vergewaltigung in der Ehe; sie, angeklagt wegen „böswilliger Körperverletzung“. Hinter diesem Tatbestand verbirgt sich folgender Vorfall: Lorena Bobbitt hatte am Morgen des 23.Juni, nachdem ihr Mann sie, so ihre Aussage, zum wiederholten Mal vergewaltigt hatte, dem Schlafenden mit einem Küchenmesser den Penis abgeschnitten, sich ins Auto gesetzt und das gute Stück – entgegen aller Theorien über den Penisneid – nach ein paar Meilen aus dem Fenster geworfen. Dies hätte das Ende der Geschichte und der Männlichkeit des John Wayne Bobbitt bedeutet, hätte nicht eine Polizeistreife das herrenlose Organ auf einer Wiese gefunden und mit Blaulicht ins Hospital eingeliefert, wo es ein Chirurgenteam an den schon bereitliegenden John Wayne Bobbitt wieder annähte. Im aufopfernden Kampf gegen die Kastrationsangst haben sich diese Ärzte einen Platz in der Geschichte gesichert.

Der Fall war wochenlang Gesprächsthema auf Gartenparties und in Kneipen, wo sich Interessierte beiderlei Geschlechts entweder schaudernd an den Details ergötzten oder sich über die Frage stritten, für wen Partei zu ergreifen ist. Wobei durchgehend zu beobachten war, daß Männer bei solchen Unterhaltungen eine leicht defensive Körperhaltung einnahmen, während Frauen ausgesprochen entspannt gestikulierten und debattierten. Es mag banal sein, in diesem Zusammenhang anzumerken, daß sich die US-Presse keinen Deut für das Thema Vergewaltigung in der Ehe interessierte. In den Redaktionsstuben kniff mann vielmehr erschrocken die Beine zusammen, als an diesem Junitag der Polizeibericht hereinflatterte. „Lorena hatte mehr als eine Option“, klagte Tom Jarriel, Moderator des TV-Magazins „20/20“, um dann düster hinzuzufügen: „Sie wählte das Messer.“

Und in der Washington Post rief mann zum kollektiven Mitfühlen für John Wayne und sein missing member auf. Ein Trost all den Kerls, die vor Schreck „zusammenklappen, sich zwischen die Beine greifen und stöhnen“, wenn sie die Geschichte hören. Im parfümierten Yuppie-Hochglanzblatt Vanity Fair war gar vom „ultimativen Verbrechen gegen die Männlichkeit“ die Rede. Bevor nun darüber ein Urteil gesprochen wird, muß das Gericht erst einmal entscheiden, ob John Wayne Bobbitt des ultimativen Verbrechens gegen Frauen schuldig ist. Bis dahin ist genügend Zeit für eine Medienorgie. Die Boulevardpresse bietet beiden Parteien bis zu 100.000 Dollar für die Exklusivrechte an der Ehegeschichte, die ersten Drehbücher für eine Verfilmung sind bereits geschrieben, der Gerichtssaal quillt über mit Pressevertretern, die in den nächsten Wochen jedes Räuspern der Kontrahenten registrieren werden. Dabei sind die eigentlichen Helden der Geschichte längst gekürt – zumindest im Namen der vereinigten Männlichkeit. Wer? Die Ärzte natürlich. Denn dank ihres Einsatzes kann Bobbitt jetzt wieder pinkeln.

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