: Die neuen Leiden des alten P.
Asterix in Brandenburg: Ein kleines Dorf, einst Zuflucht von Dissidenten, probt den Aufstand gegen die Kiesgrubenpläne von Readymix und des restituierten Krautjunkers von Hardenberg ■ Von Michaela Schießl
Wenn Ulrich Plenzdorf weniger Angst hätte vor Lärm, wäre er lieber still. Der Dichter liebt es ruhig. Laut wird er nur, wenn es sein muß. Wie 1976, als Wolf Biermann ausgewiesen wurde und Plenzdorf öffentlich die Ausbürgerung kritisiert hat. Mit der Folge, daß er und seine Gesinnungsgenossen noch strenger bespitzelt wurden – sogar in ihrer Zuflucht namens Vorwerk, einem winzigen Acht-Häuser-Dorf 90 Kilometer östlich von Berlin. Eben jener unberührte Fluchtpunkt ist nun gefährdet. Statt vom seltenen schwarzen Storch und vom roten Milan soll sich Plenzdorf in Zukunft von tropfenden Kieslastern und ausgeschabten Erdlöchern inspirieren lassen. Grund genug, um laut zu werden.
Zusammen mit den Schriftstellern Martin Stade, Klaus Schlesinger und dessen damaliger Frau, der Liedermacherin Bettina Wegner, war Plenzdorf Mitte der siebziger Jahre nach Vorwerk, ans Ende der Welt, gekommen. „Das war unsere Wochenendzuflucht. Aber nach der Biermann-Geschichte wurde die Zeit bleiern.“ Die Stasi begann, diese „Ansammlung von Dissidenten in ihrer Operationsbasis“ zu beobachten. „Uns ist ganz schön die Düse gegangen“, entsinnt sich Plenzdorf. Nachbarn notierten die Autonummern, die „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ übten vor den Fenstern. „Jeder von uns hat anders reagiert: Ich bin nach innen gegangen, Klaus nach außen, und Martin hat die Feder fallenlassen.“
Seit wenigen Jahren erst hat das Dorf seinen Frieden wieder, doch schon schickt sich eine andere Firma an, über Dichters Gartenzaun zu lugen: Readymix, die Tochter eines britischen Baustoffunternehmens, hat den begehrlichen Blick auf die Ländereien rund um Vorwerk gelenkt. Dem Multi steht der Sinn nach Kies. Und den, so mutmaßen die Bodenschatzsucher, gibt es hier massig und von hoher Qualität. Der Reibach lockt.
Den Tip erhielt Readymix von einem, der auch Kies braucht: Carl Friedrich von Hardenberg, Sohn des Hitler-Verschwörers, will sein rückübertragenes Schloß in Neuhardenberg renovieren. Das nötige Kleingeld soll ihm Readymix geben, als Gegenleistung darf die Firma seine Ländereien ausbeuten. Obwohl dem adligen Autohändler mit Wohnsitz in Düsseldorf die Ländereien noch nicht wieder gehören, sind seine goldenen Träume berechtigt: Die Hardenbergs bekommen wegen Widerstands gegen das NS-Regime selbst Bodenreformland zurück, getreu der Devise des neuen Deutschland: Bauernland in Junkerhand. Der Vater des Autohändlers hatte sein Schloß den Verschwörern des 20. Juli 1944 einmal als Versammlungsort zur Verfügung gestellt. Wenig stört es den 69jährigen, daß ihm laut ostdeutschem Bergrecht nur die Ackerkrume, nicht aber die Bodenschätze gehören, denn der Eigentümer muß entschädigt werden. Reibach auch für den geschäftstüchtigen Greis.
So schön könnte alles sein für die Freunde aus Kapital und Adel, wenn da nicht das renitente Vorwerk wäre. „Mich traf fast der Schlag, als ich im Mai in der Zeitung gelesen habe, daß Readymix aufsuchen darf“, erzählt Arvid Erlenmeyer. Er, der Wessi aus Berlin, hat sich für den für den gemeinen Ostler unbezahlbaren Preis von 170.000 D-Mark ein Haus in Vorwerk gekauft. Und ist nicht willens, die neuerstandene Idylle durch Kiesgruben durchlöchern zu lassen. Der Psychoanalytiker ging hausieren. Mit einem Protestbrief in der Hand bat er an allen acht Türen um Unterschriften. „Einfach war das nicht. Das Mißtrauen hatte die Wende überlebt. Auch die Tatsache, daß sich Wessis eingekauft hatten, war nicht vertrauensbildend.“ Bevor der gemeinsame Widerstand die innere Einheit des Vorwerks vorantrieb, hatte ihn die ostdeutsche Stammbelegschaft nicht einmal gegrüßt.
Doch mit Engelszunge brachte Erlenmeyer alle an einen Tisch. Im Juni gründeten sie die Interessenvertretung Bergvorwerk – eine Bürgerinitiative, die dem Baustoffriesen das Fürchten lehren und die Kiesgräberstimmung ordentlich versauen soll.
Die Laune im Vorwerk indes steigt. Sonntags gibt's Kämpfertee mit Zitronenkuchen in Erlenmeyers Datscha. Der Nervenarzt berichtet über die neusten Beschwerdebriefe ans abbauwillige Wirtschaftsministerium: Das Land hat Interesse an der Kiesbuddelei, weil es zu den Steuern noch 52 Pfennig Förderabgabe pro Tonne Kies kassiert. Ein Artikel für die Lokalzeitung wird gegengelesen, noch einmal freut man sich über die Vor- Ort-Fernsehsendung. „Volksfrontstimmung war das“, sagt Erlenmeyer, mit viel „Readymix, wir geben nix“ und „Go West“. „Da arbeiten die Leut' auch ihren Frust ab, das Grundgefühl der Entwertung.“
Vorwerkler Gußmann zeigt ein Foto aus dem Geschäftsbericht 1992 des Unternehmens. Ein pflanzenumwucherter See, dahinter ragen Fördertürme. Der Text: „Natur und Industrie im Einklang: Das Zementwerk in Beckum fügt sich harmonisch in seine Umgebung ein.“ Die Tür klappert, Dichter Plenzdorf kommt. Die langen, nassen Haare sind unter der Kapuze versteckt. Er sieht aus wie Sean Connery in „Der Name der Rose“. Seine Sprache jedoch ist weniger verschlüsselt: „Mit sinnloser Gigantomanie wird versucht, die mißratene Vereinigung mit Wolkenkratzern zuzubetonieren“, teufelt er.
Die Region hat nichts als Schaden: Arbeitsplätze werden vor Ort nicht geschaffen. Gewerbesteuer darf man vergessen, weil Großfirmen diese mit Verlusten anderswo verrechnen dürfen. Dem Kreis bleiben Löcher und der Lärm der Lkws. Doch so weit soll es nicht kommen, sagt Plenzdorf. „Mit einer Kiesgrube geht die Natur über den Jordan, das Konzept des sanften Tourismus und die Landwirtschaft. Seltene Tierarten werden vertrieben, unsere Lebensqualität sinkt. Außerdem brauchen wir den Kies als Wasserfilter für den überdüngten Boden. Wenn man die Bodenschätze aus dem Boden nimmt, sind es keine Schätze mehr.“
Die betroffenen Gemeinden Gottesgabe, Neuhardenberg, Wulkow, Trebnitz, Jahnsfelde, Müncheberg und Altrosenthal stehen geschlossen hinter der Bürgerinitiative. Trotz einer Arbeitslosenquote von fast 20 Prozent im Kreis will niemand das Fertigmix-Märchen von der wundersamen Jobvermehrung glauben. Helle Empörung löste der Stil von Readymix aus. Die Firma hat den Aufsuchungsantrag ans Bergamt gestellt, ohne auch nur einer Bürgerseele etwas zu sagen. Rechtlich ist das zwar korrekt, moralisch nicht. „Wer soll über die Flächen der Gemeinden bestimmen, wenn nicht die Gemeinden selbst?“ fragt Heidrun Thoms von der Umweltbehörde der Kreisverwaltung Seelow. Sofort hat sie einen Einspruch beim Potsdamer Wirtschaftsministerium eingereicht. Der wurde geprüft und für zu leicht empfunden. „Die sprechen immer vom Abwägen. Möchte mal wissen, was die für eine Waage haben“, ärgert sich Thoms. Und setzte eine einstweilige Sicherung als Naturschutzgebiet durch. Ein juristisch umstrittener Schritt, da er erst nach der Aufsuchungserlaubnis stattfand. „Readymix hat uns übrrumpelt: Theoretisch können die morgen mit den 15 Probebohrungen beginnen.“ Ungeheuerlich, findet Plenzdorf: „Ich habe mich immer gegen das Parteischulengeschwätz von der bösartigen Koalition von Grundbesitz und Industrie gewehrt und darauf gepocht, daß der Urkapitalismus nicht mehr existiert. Und nun muß ich erleben, wie diese Betonköpfe recht behalten.“
Not am Kies ist beileibe nicht. 212 Gruben durchlöchern Brandenburg, 200 weitere Aufsuchungsanträge sind gestellt. Und wenige Kilometer von Vorwerk entfernt ist die Kiesgrube Gusow – nur zu 60 Prozent ausgelastet. Doch Readymix will eigene Gruben, um gehörig am Berliner Baukuchen mitzuschlemmen. Zwar haben sie schon sechzig Stück, und vierzig weitere beantragt, doch keine so dicht an der Hauptstadt. „Bei Kiesen, Sanden, Splitten ist der Transportweg das Entscheidende, weil das Material mit 15 bis 30 Mark pro Tonne billig ist“, erklärt Dr. Stephan Brock von Readymix Kies GmbH Berlin. Wir müssen unserer unternehmerischen Verpflichtung nachkommen, der Bedarf ist riesig“, sagt Brock. Jeder Kaufmann muß überlegen, wie er Gewinn macht, flötet Graf Hardenberg. „Das hier ist eben keine Planwirtschaft mehr, das ist Marktwirtschaft“, jubelt Dr. Freitag vom Oberbergamt Senftenberg. Und alle drei singen im Chor: Kompromiß, Kompromiß.
Der dann etwa so aussehen soll: Es wird gebuddelt, aber nicht überall, wo probegebohrt wird. „Letztendlich wird die tatsächliche Abbaufläche in Altrosenthal 2 bis 50 Hektar betragen, nicht die Aufsuchungsfläche von 330 Hektar“, beschwichtigt Brock. Wo letztendlich abgebaut wird, bestimmt das gesetzliche Raumordnungsverfahren, und anschließend wird hübsch rekultiviert. Allerdings dauert es 15 bis 20 Jahre, bis sich die Grube amortisiert. Natürlich glaubt niemand in Vorwerk an die Selbstbeschränkung des Investors. Alte Kapitalistenweisheit: Wer sucht und findet, fördert auch. Also muß die Aufsuchung verhindert werden. Mit allen Mitteln.
„Die schießen mit Spatzen auf Kanonen,“ jammert Brock. „Die machen Klamauk um des Klamauks Willen, diese Schriftsteller, die emotionalisieren die Leute, schüren Ängste.“ Dr. Freitag vom Oberbergamt diagnostiziert eine mittelalterliche Fürstentümelei, gekoppelt mit dem Sankt-Florians- Prinzip: Nicht bei mir, tut's woanders. „Diese BI ist getragen von Westberlinern, die Datschen gekauft haben. Denen geht's nur um ihre Ruhe: Sanfter Tourismus kann sich ohnehin nicht entwickeln, die Landwirtschaft ist platt, und Bauern taugen nicht als Oberkellner. Und ich werde mich hüten, mich bei einem FDP-geführten Wirtschaftsministerium gegen Investoren zu stellen.“ Ärgerlich, daß sich „diese Intellektuellen“ mit der Pressearbeit auskennen. „Die wollen einfach nicht, das ist alles.“ Da hat er recht: Sie wollen nicht, und mit ihnen sämtliche betroffenen Gemeinden. Und sie haben gute Gründe. Aber wie sagt Plenzdorf: „Das sind Konzerne. Denen kann man nichts erklären.“
Doch einen Trumpf haben die Widerständler noch im Ärmel: einen potentiellen Skandal. Die Seelower Höhen nämlich waren Anfang 1945 Schauplatz der letzten großen Schlacht vor dem Sturm der Roten Armee auf Berlin. Lange wird es nicht dauern, bis der Readymix-Bagger die ersten Gebeine auf der Schaufel hat – vor lauter unternehmerischer Verpflichtung.
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