piwik no script img

„Nachts kann ich nicht schlafen“

Die seelischen Wunden, die der Bürgerkrieg in Mosambik geschlagen hat, sind schwer zu heilen / Kindersoldaten können sich an den Frieden kaum gewöhnen / Rückkehr der Flüchtlinge  ■ Aus Maputo Sinnika Kahl

Maputo sieht nicht aus wie die Hauptstadt eines Landes, in dem 17 Jahre lang einer der grausamsten Bürgerkriege Afrikas getobt hat: auf den breiten Boulevards herrscht eine entspannte Atmosphäre. In den anliegenden Gassen drängen sich kleine Läden, die Schaufenster voller minderwertiger Importwaren. Es gibt hübsche, baumbestandene Seitenstraßen mit ziemlich verfallenen Wohnhäusern im portugiesischen Stil. Man plaudert auf den Terrassen der Cafés, sobald sich die Wärme des Tages in der leichten Kühle des Abends verflüchtigt hat. Der Bürgerkrieg in Mosambik, der vor einem Jahr beendet wurde, hat Maputo kaum erreicht.

Dort könnte man sich vorstellen, der Krieg sei nur ein böser Traum gewesen – wenn nicht die Kinder wären. Man sieht sie überall in der Stadt: in zerrissenen, schmutzigen Lumpen. Anders als Straßenkinder in manchen anderen Städten Afrikas wissen sie nicht, wie man professionell bettelt. Sie sprechen die Erwachsenen zu brüsk an, sie sind zu plump, sie geben zu schnell auf.

Der Bürgerkrieg in Mosambik hinterließ nach Schätzungen der Vereinten Nationen 200.000 Waisen. Eine weitere Viertelmillion Kinder sind von ihren Eltern getrennt worden oder wurden „auf andere Weise schwer geschädigt“. Viele Kinder waren Soldaten, auf beiden Seiten. In den Truppen der Rebellenbewegung Renamo gab es mehr als 7.000 Kindersoldaten, wie UN-Mitarbeiter in Maputo schätzen. Die Jüngsten sollen zwischen sechs und acht Jahre alt gewesen sein. Eine viel größere Zahl von Kindern diente bei den Renamo-Truppen als Träger und Diener. Sie wurden wie Sklaven gehalten.

Philipp, ein 13jähriger Junge, wurde entführt, als die Renamo sein Heimatdorf angriff. Er erhielt eine zweiwöchige Ausbildung an einem Sturmgewehr und wurde dann in ein Bataillon gesteckt, das aus rund 300 Jugendlichen bestand, alle etwa in seinem Alter. Bei Angriffen auf Dörfer wurde Philipp in die erste Reihe gestellt. Erst nach mehreren Jahren gelang ihm die Flucht.

Die Renamo war berüchtigt, weil sie echte oder vermeintliche Gegner zur Abschreckung und Einschüchterung systematisch an Lippen, Nasen, Brüsten und Genitalien verstümmelte. Nach Untersuchungen der Menschenrechtsorganisation Africa Watch wurden viele dieser Greueltaten von Kindern begangen.

In Südmosambik waren 1991 die meisten Folterknechte laut Africa Watch Jungen, deren Alter von ihren Opfern auf zwischen acht und 15 Jahre geschätzt wurde. Häufig handelten die Kinder unter dem Einfluß von Drogen. Laut UN-Quellen mußten die Kindersoldaten der Renamo im Rahmen ihrer Ausbildung manchmal sogar ein Mitglied ihrer eigenen Familie töten. Damit sollten die Bindungen an die Familie zerstört werden.

„Die Kinder wurden in die erste Reihe gestellt, damit der Feind zögern sollte, zu feuern. Kinder waren auch leicht zu kontrollieren. Sie identifizieren sich mit Erwachsenen und brauchen ein Zugehörigkeitsgefühl“, sagt David Vincent, ein Vertreter der norwegischen Hilfsorganisation „Rettet die Kinder“ in der Stadt Chimoyo. Selbst heute ist es schwierig, Kindersoldaten zu helfen, weil sie sich selten zu erkennen geben. „Kindersoldaten erzählen nicht von ihren Erfahrungen, weil sie ihr Vertrauen in die Menschen verloren haben. Außerdem haben sie Angst vor Rache“, erklärt Vincents Kollegin Grethe Gulliksen.

Hilfe ist auch deshalb schwer zu leisten, weil das Thema politisch heikel ist. Die Renamo, die sich auf die Wahlen vorbereitet, behauptet, niemals Kinder als Soldaten eingesetzt zu haben. „Wie können Sie sich so etwas auch nur vorstellen!“, sagt der Renamo-Vertreter Lorenco Makoue. „Kindersoldaten leiden unter Depressionen und haben ihr Selbstwertgefühl verloren“, beschreibt dagegen Gulliksen die Realität. „Sie haben keine Beziehung zu anderen Menschen. Sie sind gegenüber dem Leiden anderer immun geworden.“

„Rettet die Kinder“ und andere Organisationen helfen Kindern, ihre verlorenen Eltern wiederzufinden. Mehr als 5.000 Kinder sind schon zu ihren Familien zurückgebracht worden. Für diejenigen, deren Familien nicht zu finden sind, werden Pflegeeltern gesucht. Viele Ehepaare haben bereits elternlose Kinder adoptiert.

Die meisten Familien sind glücklich, ihr Kind zurückzubekommen, selbst wenn es Greueltaten verübt haben sollte. „Ich weiß von keiner Mutter, die einen Kindersoldaten abgelehnt hätte. Aber viele Kinder verlassen ihre Familie wieder. Sie sind ein Vagabundenleben und den Kampf ums Überleben gewöhnt“, sagt Ana Charamar, eine Vertreterin der nationalen Frauenorganisation von Mosambik.

Wenn ein Kind in seine Familie zurückkehrt, wird es gelegentlich mit einem Fest begrüßt, um die bösen Geister zu verjagen, die es in den Krieg geschleppt haben. Da es in ganz Mosambik nur einen ausgebildeten Kinderpsychologen gibt, setzen Fachleute ihre Hoffnungen auf solche traditionellen Heilmethoden.

Das Schicksal der Kinder ist vielleicht die tragischste Erbschaft des Bürgerkriegs in Mosambik – aber nur ein Ausschnitt der Gesamttragödie. Auch viele Erwachsene brauchen Hilfe, um die Traumata des Krieges zu überwinden. Und bevor solch ein Luxus wie eine psychische Behandlung in Angriff genommen werden kann, sind immense materielle Probleme zu lösen. Millionen Menschen sollen in ihre Heimat zurückkehren, in einem Land, dessen weitgehend vernichtete Infrastruktur ohnehin schon überlastet ist.

Das entspannte Bild, das man in Maputo gewinnt, wird in der Nähe des Dorfes Makate, etwa 40 Kilometer südlich der Hauptstadt gelegen, schwer erschüttert. Zwischen sonnenverbrannten Hügeln am Ende eines zehn Kilometer langen steinigen Fußpfades liegt das neue Haus von Lino Antonio Domingos, einem Flüchtling, der in seine Heimat zurückgekehrt ist. In der Hütte, aus Zweigen hastig zusammengebaut, findet sich der gesamte Besitz der Familie: Einige geschwärzte Teller, ein paar Lumpen.

Ein kleiner Fleck Hügelland wird von dem Bauern bearbeitet – unter großen Schwierigkeiten. „Ich kann nur arbeiten, wenn die anderen Bauern Pause machen und ich ihr Werkzeug ausleihen kann“, sagt der 44jährige Domingos, der wesentlich älter aussieht. Um die Gäste zu empfangen, hat er sein einziges Hemd angezogen. Es ist voller großer Löcher.

1982 arbeitete Domingos als Träger in der Hafenstadt Beira. Die Rebellenbewegung Renamo entführte die gesamte Familie mit sechs Kindern aus ihrer Wohnung am Rande der Stadt. Die Renamo verschleppte die Gefangenen und zwang sie zur Landarbeit, um die Soldaten zu ernähren. Die Familie hatte Glück: Ihr gelang die Flucht. „Wir flohen dann im Bus nach Simbabwe. Dort arbeitete ich als Farmhelfer für einen guten Lohn.“

Vor einem Jahr, als Domingos hörte, daß der Bürgerkrieg vorüber sei, kehrte die Familie nach Mosambik zurück. Die Regierung gab ihr vor zwei Monaten das Fleckchen Land. „Wann immer ich auf dem Land arbeite, fühle ich mich völlig verwirrt, wegen allem, was uns geschehen ist“, sagt Domingos mit seinem warmen Lächeln. „Ich weiß nicht, wie wir es schaffen sollen. Ich denke die ganze Zeit darüber nach. Nachts kann ich nicht schlafen.“

Etwa die Hälfte der 16 Millionen Einwohner sollen durch den Bürgerkrieg, die Greuel und die Hungersnot aus ihrer Heimat vertrieben worden sein. Zusätzlich siedelten die Renamo und ihr Gegner, die Regierungspartei FRELIMO, die Menschen im Rahmen ihrer jeweiligen militärischen Strategie um. Die FRELIMO, die eine marxistische Politik verfolgte, gründete in den siebziger Jahren „Gemeinschaftsdörfer“. Das Ziel war es, allen Einwohnern die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse zu garantieren. Beobachter aber glauben, daß der erzwungene Umzug auch dazu diente, die Bevölkerung der Kontrolle der Renamo zu entziehen.

Die Renamo ihrerseits zwang sogar die Bevölkerung ganzer Dörfer, in Gebiete umzuziehen, die sie kontrollierte. Die innerhalb des Landes entwurzelten Männer, Frauen und Kinder sollen vier bis fünf Millionen zählen. Darin sind die Bewohner der „Gemeinschaftsdörfer“ der „Frelimo“ noch nicht einmal enthalten. 1981 waren das 1,8 Millionen. Zusätzlich dürften in sechs Nachbarländern etwa eineinhalb Millionen Mosambikaner leben. Die meisten finden sich in Malawi, wohin es 1,1 Millionen Flüchtlinge verschlagen hat.

Hunderttausende Flüchtlinge sind wie Domingos bereits aus eigener Kraft zurückgekehrt. Viele kommen zu Fuß und tragen sogar Dach und Wände ihrer Hütte auf dem Rücken. Die Operation, in deren Rahmen das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) die Vertriebenen aus dem Ausland zurückbringen will, begann im Juni. Sie wird mindestens drei Jahre dauern und 200 Millionen Dollar kosten. Das UNHCR bringt die Flüchtlinge zu einem Ziel ihrer Wahl, meistens in die frühere Heimatgegend. Die Flüchtlinge werden bei dem Neubeginn unterstützt: sie erhalten Landwirtschaftliche Geräte, Samen und Lebensmittel.

Aber die Operation bringt große organisatorische Probleme mit sich. An einigen Orten ist die Aufnahmefähigkeit des UNHCR bereits an ihre Grenzen gelangt. Flüchtlinge mußten im Freien lagern.

Joao Maria Nussa, ein 34jähriger Bauer, wartet im Lager Selva in der Nähe von Chimoyo auf die Heimkehr. Das Lager besteht aus einer Handvoll Zelten auf einer staubigen Ebene. „Ich wage noch nicht einmal, spazieren zu gehen“, sagt Nussa. „Der Bus, der mich nach Hause bringt, könnte inzwischen kommen.“

Nussa stammt aus Cabo Delgado im Norden, etwa eintausend Kilometer entfernt. Seit neun Jahren ist der ehemalige Regierungssoldat nicht mehr zu Hause gewesen, und er weiß nicht, was er dort vorfinden wird. „Ich habe gehört, daß meine Frau wieder geheiratet hat und mit ihrem neuen Mann auf unserem Land lebt“, sagt Nussa. „Aber es gibt viel Land in Cabo Delgado. Ich vertraue darauf, daß auch für mich etwas da ist.“

Davon ist man auch bei der UNO überzeugt. „Es wird genug Land für die Flüchtlinge geben“, glaubt Alida Budresen, eine Angestellte des UNHCR in Chimoyo. Sie macht sich mehr Sorgen über die Situation in den Städten. „Viele Flüchtlinge ballen sich in zentralen Siedlungen und am Rand der Verkehrswege, die früher die sichersten Orte waren“, sagt sie. Die Infrastruktur der Städte droht durch diesen Ansturm zusammenzubrechen: „Chimoyo beispielsweise ist von rund 25.000 auf etwa 180.000 Einwohner angeschwollen“, sagt Budresen.

„Es herrscht Wassermangel, es gibt nicht genug Platz in Schulen und Krankenhäusern, und die Zahl der Verbrechen hat zugenommen.“ Eine Lösung der Probleme für die nahe Zukunft bietet sich nicht an: Viele der Stadtflüchtlinge wollen nicht mehr zu dem mühseligen Leben auf dem Lande zurückkehren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen