: Die Bremer Stahl-Hütte bleibt
■ Sprachlos hörten die Stahlkocher die gute Nachricht: Klöckner-AR stimmte „Interessentenlösung“ zu
Donnerstag, 11.11., 15 Uhr. „Mensch, Horst“. Zwei Männer umarmen sich im Flur des Betriebsrats-Traktes des Klöckner-Verwaltungsgebäudes. Viel mehr Worte fanden die Klöckneraner nicht, als sie am Donnerstag die unglaubliche Nachricht aus Duisburg hörten: Einstimmig habe der Aufsichtsrat beschlossen, der Vorstand möge die Verhandlungen um die Bremer „Interessentenlösung“ weiterführen. „Und kein Schlupfloch für die Thyssen- Lösung“, betont Horst Meierholz, der für den Betriebsrat in Bremen Stallwache gehalten hat. „Wie benommen“ habe man das gehört, und mit unglaublicher Erleichterung.
15.30 Uhr, am Hochofen. Die fünf, zehn, die in der Nachmittagsschicht die Produktion des flüssige Eisens kontrollieren, haben es im Autoradio auf der Fahrt zur Schicht gehört. Kein Sektkorken liegt da und keine Flasche Bier ist hier geleert worden: „Hier herrscht absolutes Alkoholverbot“, sagt der Schichtmeister am Hochofen, „bei dieser gefährlichen Arbeit. Wir müssen weitermachen, den Hochofen kann man nicht abstellen.“ Natürlich sei den Leuten „ein Stein vom Herzen gefallen“. Und abends? Nach Hause fahren wie immer. „Mit der Familie“ wird vielleicht gefeiert, sagt ein anderer, die habe ja auch die nervliche Belastung gehabt.
Über die Zusammenhänge des Stahl-Pokers wissen diese Klöckner-Kollegen nicht mehr als in der Zeitung steht. Und das war verwirrend genug. Warum hat die Bremer Hütte gewonnen? „Wahrscheinlich, weil Vorstand und Belegschaft mal zusammengehalten haben“.
16.29 Uhr, am Tor 1: Der erste Bus aus Duisburg kommt zurück und wird mit großem „Hallo“ von einer kleinen Delegation der Hütte empfangen. Ab 17 Uhr hat der Bremer Hütten-Chef zur Feier in die Kantine geladen. Bei ihm im Verwaltungsgebäude trifft Wirtschaftssenator Jäger ein.
Ganz unscheinbar zwischen den Klöckner-Arbeitern auch der Geschäftsführer der Hibeg und Abteilungsleiter im Finanzressort, Harald Keller. Er hat für Bremen das „Interessentenmodell“ entworfen, ausgearbeitet und verhandelt. Wenn einer in den letzten Wochen auf diesen Tag hingearbeitet hat, dann er. Keiner begrüßt ihn hier, die Klöckner-Arbeiter kennen ihn nicht.
Was in Duisburg genau gelaufen ist — auch die, die in Duisburg waren, wissen es nicht. Betriebsratsvorsitzende Peter Sörgel ist der einzige, der wenigstens teilweise „dabei“ war, da er im Aufsichtsrat ist. Bis eine Viertelstunde vor der Aufsichtsratssitzung um zehn Uhr, sagt Sörgel, sei unklar gewesen, ob die Deutsche Bank mitspielt. Und wie kam es, daß sie dann doch zustimmte? Alle waren dafür, sogar die WestLB, sogar Biedenkopf. „Und die Deutsche Bank ist bis zuletzt bekniet worden“, sagt Sörgel. In der Aufsichtsratssitzung selber gab es dann weder Debatte noch Anzeichen von Differenzen — nur vornehme Einstimmigkeit.
Entscheidend sei das gute Konzept und die Rentabilität der Bremer Hütte gewesen, sagt der Bremer Vorstand Hilker. Er geht davon aus, daß die Dortmunder Krupp/Hoesch- Stahl-Hütte so oder so in Schwierigkeiten kommen wird und daß deshalb auch die Vertreter der WestLB im Aufsichtsrat der Rettung der Klöckner-Hütte zustimmen konnten.
Für den Klöckner-Aufsichtsrat gab es noch einen anderen Gesichtspunkt, der in den letzten Tagen der Angst um die Hütte weniger erwähnt wurde: Die Klöckner-Werke-AG hatten das Vermögen ihrer Maschinenbau-Mercator-GmbH für die Schulden der Bremer Hütte verpfändet. Sobald der Konzern sich von der Hütte getrennt hat, wird er wieder handlungsfähig. Dies war dringend erforderlich und mit dem unterschriftsreifen Bremer Vertrag möglich — nicht aber mit der völlig vagen Thyssen-Offerte.
Donnerstag, 18.20 Uhr. An den Tischen in der Kantine der Klöckner-Hütte sitzen einige hundert Kollegen, diskutieren, feiern die Politiker, die Betriebsräte, ihren Chef Hilker. „Ich bin endgültig Bremer, sagt der. „Mich wird keiner mehr hier vertreiben“. Es wird ein langer Abend.
Heute (Freitag) trifft sich das Konsortium der Gläubiger der Stahlhütte. Wenn sie der Übertragung der Schulden nicht zustimmen würden, würde das Übernahmemodell scheitern. Da aber die Deutsche Bank im Aufsichtsrat zugestimmt hat, wird sie das wohl auch als Konsortialführer tun. K.W.
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