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Varieté auf Sparkurs

■ Das Chamäleon feiert heute den 1000. Tag seines Bestehens / Die neue Show ist kein Anlaß zu großem Jubel

Die neue Show, mit der das Chamäleon durch seinen dritten Winter kommen will, gehört zu jenen Vorstellungen, bei denen man hinterher noch genau weiß, an welchen beiden Stellen man gelacht hat. Das ist gerade bei einem Varieté, das zum nicht geringen Teil auf Comedy und Improvisation statt perfektes Können setzt, tatsächlich „fatal“, wie es in dem eigentlich selbstironisch gemeinten Chamäleon-Song in vorauseilendem Understatement heißt.

Als das Foyer des Jugendstilballhauses an der Rosenthaler Straße noch nicht so glänzend eingerichtet war, als man am Eingang noch das Glücksrad drehen konnte und vielleicht nur 12 Mark Eintritt bezahlte, hatte man mit unspektakulären Darbietungen ja irgendwie gerechnet. Damals aber wurde man in jeder Show von der Vielzahl origineller Talente aufs neue überrascht. Trügt die Erinnerung? Nein, das Chamäleon ist zu Recht stadtberühmt geworden für seine Leichtigkeit und seinen Charme.

Jetzt versucht man, mit verringertem Aufwand ein anspruchsvoller gewordenes Publikum zufriedenzustellen. „Ohne Proben ganz nach oben“ heißt die Show programmatisch, ein leider diesmal wörtlich zu nehmendes Sponti-Image bemühend. Das Chamäleon ist auf Sparkurs. Beispielsweise spart man am Conférencier. Stephan Mazoschek aus der Band hat zwar Charme und schöne Beine, aber den Kontakt zum Publikum kann er nicht ganz herstellen. Er erweckt immer den Eindruck, als würde er nur einspringen. Und Hacki Ginda als Pausenclown – hier „Tretmine“ genannt – trägt sein liebenswertes Backpfeifengesicht zur Schau, aber sein Mutwillen zum Komischsein, den er mit Brusthaar-zeigen und grunzendem Lachen unermüdlich beweist, hat schon in früheren Shows das Lächeln gefrieren lassen.

Natürlich – es gibt auch jetzt noch Tania & Frieda, die wie zwei Wasserkobolde in luftiger Höhe beeindruckend turnen, tanzen, schwingen und schweben, es gibt die Jongleure Michael Korthaus und Cotton Mac Aloon, wobei letzterer sicher auch ein hoffnungsvoller Conférence-Kandidat wäre. Aber das reicht nicht aus, um all die mühsam aufgebauten Pointen vergessen zu lassen, die sich schleppend in Richtung Rampe schieben, um ohne Resonanz herabzutröpfeln. Die Band verirrt sich in die Klamotte, statt ihre beachtlichen improvisatorischen Talente zielgerichtet einzusetzen. Und um auch noch den letzten des winzigen Ensembles zu benennen: Oguz Engin mag als Zauberer seine Qualitäten haben, aber er zeigt sie kaum.

Die Chamäleon-Shows waren stets auch ein Sprungbrett. In die Bar jeder Vernunft oder in Solo- Vorstellungen. Marcus Jerochs sprachjonglierende Auftritte – ja, selbst die vermißt man jetzt – oder Farce De Frappes Kulleraugen müssen in der Hauptshow ersetzt werden. Gibt es keinen Nachwuchs mehr? Ohne Proben mag's vielleicht gehen, doch ohne Einfälle und neue Talente führt der Weg vermutlich doch eher nach unten. Petra Kohse

„Ohne Proben ganz nach oben“, jeweils mittwochs bis sonntags, 20.30 Uhr, Variete Chamäleon, Rosenthaler Straße 40/41, Mitte.

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